Ralf Frenzel (Hrsg.):
Der Riesling. Weingut Robert Weil.
Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2014. 256 Seiten.
ISBN 978-3-944628-47-9. EUR 69,90
Weinbibliographie [Schoene3] Nr. 32012
Über den Anlass zu diesem Buch darf man gerne rätseln. Es ist nicht ein Firmenjubiläum, das den Herausgeber dazu bewogen hat, ein solch ausladendes und reich bebildertes Werk zu veröffentlichen; nein, es ist einzig und allein die große Erfolgsgeschichte, die Wilhelm Weil nun in vierter Generation mit dem komplexen Thema Riesling geschrieben hat. Kein anderes Weingut hat in den vergangenen zwanzig Jahren, so der Autor, eine solch beispielhafte Entwicklung genommen und den Rheingau-Riesling damit wieder zurück zur internationalen Weinelite geführt. „Wilhelm Weils Pioniergeist ist es zu verdanken, dass heute Rheingauer Riesling wieder zu einem der begehrtesten Weine national und international geworden ist und wieder als Synonym für Qualität steht, weil er es mit seinem Weingut schafft, Tradition und Moderne durchgängig erfolgreich miteinander zu verbinden.“
Dem Prolog des Herausgebers folgt eine breit angelegte historische Betrachtung des Rieslings, des Anbaugebietes Rheingau, berühmter Rheingauer Weinlagen, des Weindorfes Kiedrich und schließlich des Weingutes Weil von Daniel Deckers, „Haushistoriker des Verbands der Deutschen Prädikatsweingüter“.
Ausgangspunkt für seine Betrachtung ist das hohe Renommee Rheingauer Weine im neunzehnten und zum beginnenden zwanzigsten Jahrhundert, das er am Beispiel der erzielten Erfolge bei den Weltausstellungen in London, Wien, Paris, Chicago und anderen Städten im neunzehnten Jahrhundert und mit einem weiteren Beispiel eindrucksvoll untermauerte. Wilhelm II., König von Preußen und Kaiser von Deutschland, ließ bei einer Abendtafel gemeinsam mit dem kaum dreißig Jahre alten Kaiser Karl I. Franz Joseph von Österreich am 12. Mai 1918 während des gesamten Abends nur einen Wein kredenzen, eine 1911er Kiedricher Auslese vom Weingut Dr. Robert Weil, einem seiner Lieblingsweine. Damals war die Zeit vorbei, als man ausländische Weine und Sekte wie beispielsweise Champagner am Hof und bei berühmten Anlässen reichte; es waren deutsche Weine vom Rheingau oder von der Mosel. Beide Gebiete konkurrierten um die Vormachtstellung bei den Spitzenweinen.
Das von Deckers verfasste Kapitel über die Historie des Weingutes Weil ist zurecht mit „Geschichte“ überschrieben, kann man darin doch wesentlich mehr zur Rheingauer Weingeschichte als zur Geschichte des Weingutes Weil erfahren. Der Autor beginnt seine Betrachtungen mit den gewaltigen Qualitätsbestrebungen der vielen Adels-Weingüter und dem damit verbundenen hohen Image Rheingauer Weine im In- und Ausland. In diesem Zusammenhang kommt er auch auf die weltweit älteste Klassifikationskarte von Friedrich Dünkelberg aus dem Jahre 1867 zu sprechen, die die Rheingauer Weinbergslagen des Nassauischen Rheingaus in mehrere Klassen einteilt. Eine noch präzisere Einteilung gelang dem aus Lorch stammenden Heinrich Wilhelm Dahlem, im Hauptberuf Generalsekretär des 1874 gegründeten Deutschen Weinbau-Vereins, in der auch die Weinlagen Kiedricher Berg, Gräfenberg und Turmberg in der höchsten Stufe ausgelobt werden.
Genau diese Lagen waren es, die der Quereinsteiger Robert Weil, der zwar 1843 in Kiedrich geboren wurde, den es aber nach seinem Studium der französischen Sprachwissenschaften und Promotion hinaus in die Welt zog, Mitte der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts nach und nach erwarb. Bereits im Frühjahr 1881 versteigerte er auf Burg Craß in Eltville seine ersten Kreszenzen aus den Jahren 1874, 1875 und 1876, wobei er ausdrücklich für „Reinheit und Originalität der Weine garantiert“. Auch weiterhin galt sein Augenmerk dem Qualitätsweinbau; er bestockte seine Rebflächen mit Rieslingreben, obgleich zu dieser Zeit im Jahrzehnt nur zwei bis drei qualitativ gute Jahre heranreiften. Der Jahrhundert- und Ausnahmejahrgang 1893 brachte die Weine des Weinguts Dr. Robert Weil endgültig bis in die Spitzen der Hotellerie und der Adelshäuser. An Versteigerungen hat er sich selten und nur noch sporadisch beteiligt; potente und angesehene Weinhandlungen kauften mehrmals die Weine eines kompletten Jahrgangs ab.
Nach dem Ersten Weltkrieg kam die erste Stabübergabe an Sohn Wilhelm, „der nahtlos in die Fußstapfen seines Vaters getreten zu sein scheint“, obgleich er in Würzburg ein Jurastudium absolviert und 1913 seine juristische Dissertation eingereicht hatte. In seine Zeit fällt die Gründung des Verbands der Naturweinversteigerer aus dem Jahre 1926, dem das Weingut seit Gründung angehört und somit den Traubenadler führen darf. Nach wie vor bediente sich Wilhelm Weil beim Verkauf seiner Weine renommierter Weinhändler, wie z. B. Wilhelm Ruthe; nur selten beteiligte er sich an den jährlichen Versteigerungen der Vereinigung Rheingauer Weinbergsbesitzer.
Beim Übergang des Weinguts auf die dritte Generation, Robert Weil, hatte es bereits eine Fläche von 13 Hektar. Viel wird in der Abhandlung über diese Ära nicht berichtet. Die spektakulärste Entscheidung von Robert Weil fiel Ende der 1980er-Jahre, als er im Wissen um eine unheilbare Krankheit den Japanischen Getränkekonzern Suntory ins Unternehmen holte. Damit konnte der bis zu diesem Zeitpunkt bereits hohe Exportanteil weiter auf fast zwei Drittel der Weinerzeugung gesteigert werden. Dies war auch die Zeit des Übergangs des Weingutes auf die vierte Generation, auf Wilhelm Weil, im Jahre 1987. Binnen kurzer Zeit expandierte das Weingut auf 36 Hektar, das heute 90 Hektar bewirtschaftet. Viel erfährt der Leser auch über diese Generation nicht, außer der konsequenten Ausrichtung des Unternehmens auf Qualitätserzeugung, die ihm auch höchste Bewertungen in den Medien und Anerkennung im In- und Ausland brachte. Während sich die Voreigentümer vornehmlich dem eigenen Weingut gewidmet hatten, stellte sich Wilhelm Weil als erster auch in den Dienst der Weinwirtschaft; er wurde 1999 zum Vorsitzenden des VDP Rheingau gewählt und hat dieses Amt noch heute inne.
Als Resümee dieses Kapitels, das sehr interessante Einblicke gibt, fragt man sich aber doch, ob es im Laufe der langen Geschichte eines solchen Weingutes außer den dargestellten „Höhen“ nicht auch „Tiefen“, das heißt schwierige Phasen und Entscheidungen gab. Dies verschweigt der Autor und versteht es meisterhaft, den Leser darüber hinwegzuheben und der Entwicklung nur positive Seiten abzugewinnen.
Dieter Bartetzko erläutert in einem weiteren Kapitel die bauliche Seite des historischen Bauensembles, das auf das Jahr 1869 zurückgeht, als Baron Button ein verfallenes Winzerhaus kaufte und zu einem kleinen Landsitz im Tudorstil umbauen ließ. Der Quereinsteiger Dr. Robert Weil erwarb dieses und zwei weitere Häuser, um darin sein Weingut führen zu können. Wilhelm Weil, der heutige Eigentümer, hat es in den letzten Jahren sorgfältig mit großem Sachverstand und Sinn für die Historie instand setzen lassen und harmonisch erweitert, so dass sich Neues und Historisches harmonisch ineinander fügen.
Christian Göldenboog steuert die restlichen Kapitel zum Gesamtwerk bei. Er interviewt Wilhelm Weil, um seine Unternehmensphilosophie – Denken in generationsübergreifenden Zeithorizonten – zu erfahren. Weil bekennt sich dazu, dass man ohne das entsprechende Weinbergspotenzial nicht in die Weltspitze aufsteigen kann. Dabei sorgen vor allem „kühle Standorte“ wie beispielsweise seine Lieblingslage, der Gräfenberg, für eine optimale Aromaausbildung und ein harmonisches Zusammenspiel aller qualitätsbildenden Komponenten. In abschließenden Abschnitten lässt sich der Autor über den Weinstil, Gestein, Boden und Ökosystem sowie Frucht und Reife aus.
Das opulente und umfangreich bebilderte, großzügig gestaltete Werk vermittelt dem interessierten Leser einen guten Einblick in die Weinwirtschaft des Rheingaus in den vergangenen 150 Jahren.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 1/2018