Franz Josef Felten und Michael Matheus (Hrsg.):
Rheinhessen – Identität – Geschichte – Kultur.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016. 197 Seiten.
ISBN 978-3-515-11600-8. EUR 44,-
Rheinhessen wurde 1816 beim Wiener Kongress als Provinz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt „künstlich“ geschaffen. Geschichte und Kultur haben die Teilregionen jedoch schon viele Jahrhunderte früher unter verschiedenen Herrschaften geformt und geprägt. So ist es nicht verwunderlich, dass es Generationen bedurfte, um dieses neue politische Gebilde zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen.
Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Rheinhessen“ veranstalteten der Altertumsverein für Alzey und Umgebung e. V. gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Rheinhessische Heimatforscher e. V. und dem Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Mainz eine Vortragsreihe, die sich mit der Geschichte und den verschiedensten Aspekten des Lebens in diesem Landstrich auseinandersetzten und die in dem vorliegenden Buch zusammengefasst worden sind.
Die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine rheinhessische Identität gibt, beschreibt Rainer Karneth in seinem Beitrag. Nach längeren Betrachtungen lässt er am Ende deren Beantwortung offen. Auch nach 200 Jahren des Bestehens findet er Ansätze, kann die Frage nach einer rheinhessischen Identität jedoch nicht endgültig beantworten. Ähnliches konstatiert auch Rudolf Post zur Existenz eines rheinhessischen Dialekts. Es gibt in Rheinhessen mehrere Dialekte, die mit den jeweiligen Nachbarregionen korrespondieren, ein einheitliches Rheinhessisches kann er nicht feststellen. Gunnar Schwarting erläutert anhand mehrerer Beispiele, wie sich die großherzoglich hessische Gemeindeordnung von 1821 sehr positiv auf die Entwicklung der Provinz Rheinhessen auswirkte und für die Gesamtregion große Fortschritte brachte. Den Einfluss herausragender Provinzialbaumeister wie Georg Moller, Ignaz Opfermann oder Georg Arnold auf die Bautätigkeit in den rheinhessischen Dörfern anhand vieler Beispiele beschreibt Dieter Krienke. Typische rheinhessische Bauerngehöfte, aber auch Kirchen, öffentliche Gebäude, ja ganze Dörfer nimmt er in den Blick und geht auf Entwicklungen in der Bautätigkeit ein. Das 19. Jahrhundert ist auch die Zeit, in der viele „Kuhkapellen“ in Rheinhessen errichtet wurden und die heute ein Alleinstellungsmerkmal bilden. Die Entwicklung der landwirtschaftlich/weinbaulichen Gemischtbetriebe im 20. Jahrhundert hin zu reinen Weinbaubetrieben, zu Weingütern, hat in den allermeisten Fällen zu einer Umwidmung dieser kreuzgewölbten Viehställe in Weinprobierstuben und Vinotheken geführt und bildet heute eine Attraktion.
Otto Schätzel hat sich des Themas „Rheinhessen – Weinregion mit Tradition“ angenommen. Von der ursprünglich landwirtschaftlich geprägten Region haben sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten immer stärker die Sonderkulturen entwickelt, an vorderster Stelle der Weinbau gefolgt von Obst- und Spargelanbau. In jüngster Zeit hat sich eine gut ausgebildete, selbstbewusste junge Winzergeneration herausgebildet, die die Geschicke in den Weingütern lenkt und der Region dank deren vielfältigen Initiativen gemeinsam mit der Gebietsweinwerbung „Rheinhessen e. V.“ „einen nie für möglich gehaltenen neuen Drive“ gibt, deren identitätsstiftende Außenwirkung deutlich erkennbar ist.
Weitere interessante Themen werden abgehandelt wie: „Die rheinhessischen jüdischen Gemeinden“, „Die rheinhessische Auswanderung nach Nordamerika“ und „Der Aufstieg der NSDAP“. Nicht fehlen durfte in diesem Kontext „Die Macht aus Rheinhessen“, der Beitrag des 1. FSV Mainz 05 zur regionalen Identitätsstiftung.
Die vielen dargestellten Facetten an unterschiedlichen Themen halten für jeden Leser Interessantes bereit.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 2/2017