Henning Türk:
Ludwig Andreas Jordan und das Pfälzer Weinbürgertum – Bürgerliche Lebenswelt und liberale Politik im 19. Jahrhundert.
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2016. 440 Seiten – auch als E-Book erhältlich.
ISBN 978-3-525-36851-0. EUR 60,-
Das vorliegende Buch verdankt seine Entstehung einem Zufall, der Entdeckung der Quellen aus dem Familienarchiv Bassermann-Jordan im Landesarchiv Speyer, wie Henning Türk im Vorwort selbst feststellt. Diesem glücklichen Zufall verdanken wir diese umfangreiche Abhandlung über den Weingutsbesitzer, den weltoffenen Bürger und liberalen Politiker Ludwig Andreas Jordan, der von 1811 bis 1883 lebte und exemplarisch für den Pfälzer Weinadel insgesamt steht. Auf der Basis von privaten Tagebüchern, Briefen und staatlichen Quellen wird uns eine vielseitige und faszinierende Persönlichkeit vorgestellt und gleichzeitig ein umfassender Überblick über das erwachte Bürgertum sowie die Geschichte des Liberalismus gewährt.
Die Vorfahren Jordans sind 1708 aus dem Herzogtum Savoyen aus wirtschaftlichen Erwägungen in das damalige Fürstbistum Speyer ausgewandert. Bis Ende des 18. Jahrhunderts, als sich die Franzosen das linksrheinische Gebiet aneigneten, war die heutige Pfalz ein Flickenteppich mit den unterschiedlichsten Zugehörigkeiten zur Kurpfalz, zu Herzogtümern, zu Fürstbistümern und freien Reichsstädten. Erst mit der Franzosenzeit kam die regionale Einheit zustande, die die Hoffnung auf eine einheitliche positive Entwicklung aufkeimen ließ.
Bis zu dieser Zeit hatten sich die Vorfahren L. A. Jordans dank ihres angeborenen Intellekts und wirtschaftlichen Instinkts sowie ihrer Heiratspolitik schon in der Pfalz etabliert. Als Weinhändler konnte sich der Vater ein für damalige Verhältnisse nicht kleines Weingut mit exponierten Weinlagen erwerben und durch Heirat vergrößern und die Erträgnisse in ganz Deutschland gut verkaufen. Dieses Weingut entwickelte er zu einem mit den besten Lagen ausgestatteten Unternehmen der Region. Nach seinem Tod und der Aufteilung der Rebflächen unter die Kinder im Jahre 1850 konnte so der Grundstock für drei große Weingüter Deidesheims und der Pfalz: Bassermann-Jordan, Buhl und Deinhard gelegt werden. Bestens ausgestattet mit Boden und Kapital konnte L. A. Jordan mit seinem eingepflanzten Know-How, wie es Türk umschreibt, den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Aufstieg der Familie fortsetzen.
In drei Schwerpunktkapiteln beschreibt der Autor die Persönlichkeit L. A. Jordan: Jordans Weg ins Bürgertum, vom Weingutsbesitzer zum Großinvestor und Jordan der Politiker auf lokaler, regionaler, Landes- und Reichsebene, wobei dieser Weg zum politischen Bürger am ausführlichsten gewürdigt wird.
Der Weg L. A. Jordans begann mit einer soliden Ausbildung zunächst in Deidesheim, danach in Mannheim, wo er sich „vor allem naturwissenschaftlichen und praktischen Fächern widmete und so in den einer rationellen Landwirtschaft verpflichteten Weinbetrieb seiner Eltern hineinwuchs“. Zudem wurde er auf eine Reise nach England geschickt, „um seine Bildung und seinen Geschmack zu verfeinern“ (S. 106), seine moralischen Einstellungen zu prüfen und die neuen Möglichkeiten der Technik und Industrieproduktion kennenzulernen. In diesem Kapitel geht es um seine Freundschaften und seine Heirat. Es wird hinterfragt, ob romantische Ideale dominierten oder materielle Interessen bei der Partnerwahl im Vordergrund standen. Jordans Sozialisation war darauf gerichtet, bürgerliche Wertvorstellungen zu verinnerlichen; er arbeitete intensiv an sich, um seine hehren Wertvorstellungen zu realisieren, vor allem die der „Rechtschaffenheit“, die darin mündet, „niemals etwas Unrechtes zu tun“ (S. 65).
Dank des von Jordan präzise geführten Tagebuchs, „in dem er über seine Erlebnisse und sein Verhalten reflektierte und sich damit auch immer wieder selbst prüfte“ (S. 106), konnte Türk relativ konkret den Weg Jordans ins Bürgertum belegen. Er konnte so zeigen, dass Jordan das Ideal einer Liebesheirat durchaus mit wirtschaftlichen Überlegungen von Heiratsoptionen verbinden konnte. Er vermochte auch sonst, „das wirtschaftliche Handeln in größere Sinnzusammenhänge einzuordnen. Es diente zwar auch dem Profit, war jedoch entscheidend für den Fortschritt der Zivilisation und die wirtschaftliche Entwicklung des eigenen Landes“ (S. 91).
Der Ausbau des Weingutes, das er unter Anleitung bedeutender Wissenschaftler der damaligen Zeit, unter anderem Justus von Liebig, zu einem Musterweingut mit Spitzenlagen der Pfalz entwickelte, lieferte die Basis für seine Erfolge beim Absatz seiner Weine. Nicht nur im Anbau und der Weinbereitung war er sehr innovativ, sondern auch im Marketing. Er trat auf Weltausstellungen auf und vermarktete mit Hilfe der Preise, die er gewann, seinen Wein, der schnell zu einer Marke avancierte. Als erfolgreicher Weingutsbesitzer und Weinhändler wuchs er so in das Kreditgewerbe hinein und entwickelte sich zu einem Großinvestor in der Pfalz. Sehr schnell trat er über die Grenzen seiner engeren Heimat hinaus und versuchte sich als Investor in Projekte, die einen Beitrag zum gesellschaftlichen und politischen Fortschritt leisteten, ohne dabei seine ganz konkreten Vorteile aus dem Blick zu lassen. So initiierte er und investierte in industrielle Unternehmungen und in Verkehrsbetriebe (Eisenbahn und Dampfschifffahrt), die der wirtschaftlichen Erschließung dienten. Als Wirtschaftsbürger engagierte er sich in einer Vielzahl von Interessenorganisationen und übernahm in ihnen immer wieder Leitungsfunktionen. Das Organisationsnetz, in dem er tätig war, weitete sich von der Region Pfalz über das Land Bayern bis auf die nationale Ebene aus, wo er im Deutschen Handelstag und später im Zollparlament aktiv wurde.
Jordans Erfolg als Weingutsbesitzer und später auch als Wirtschaftsbürger bildeten beste Voraussetzungen für seine politische Karriere. Schon während der Jahre als Großinvestor kontaktierte er einflussreiche Politiker auf allen Ebenen, Verbindungen, die ihm bei seinen politischen Aktivitäten sehr zugute kommen sollten. Diese Netzwerke kamen ihm auch als Unternehmer sehr zu Nutze. Die Basis bildeten die Gemeinde und teilweise auch die größere Region der Pfalz. Sein Ansehen dort führte ihn in die bayerische Landespolitik und schließlich in die Politik auf nationaler Ebene. Es wurden ihm verschiedene Ämter angetragen; wie zum Beispiel die im Jahre 1848 erfolgte Ernennung zum Bürgermeister in Deidesheim. Dieses Amt, das er 1852 aus Protest gegen die Regierungspolitik niederlegte, hatte schon sein Vater etliche Jahre innegehabt. Zuvor war Jordan bereits Mitglied des Gemeinderats gewesen, 1848 rückte er als Ersatzmann in den bayerischen Landtag und ging von dort in das Frankfurter Vorparlament. In die Paulskirche wurde er nicht gewählt, wohl aber mehrfach in den Landtag, dann in das Zollparlament und schließlich in den Reichstag. „Sein Ziel, das Zollparlament als Weg zur deutschen Einheit zu instrumentalisieren, konnte er dort allerdings gegen die starke süddeutsche partikularistische Fraktion nicht durchsetzen“ (S. 373). Auch im Reichstag hatten sich seine Hoffnungen auf eine große liberale Bewegung zerschlagen. Jordan wollte den Nationalstaat als Bundesstaat unter preußischer Führung. Konsequenterweise zog er sich darauf im Jahre 1880 aus der Politik zurück.
Türks Studie bereichert die Bürgertums- und die Liberalismusforschung gleichermaßen. Sie vermittelt uns im Porträt Jordans ein beeindruckendes Bild des Pfälzer „Weinbürgertums“ und veranschaulicht dessen Einfluss auf Wirtschaft und Politik im engeren und nationalen Raum. Es ist ein lehrreiches Buch, das sehr zu empfehlen ist, das uns bisher unbekannte Einblicke vermittelt aber auch weitergehende Fragen aufwirft.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 1/2017