Matthias Dietz-Lenssen:
J.Neus. Pionier und Retter der Spätburgunder-Rebe.
Kulturgeschichte der Rotweinstadt. Ingelheim - Mainz - Rheinhessen.
Agentur & Verlag Bonewitz, Bodenheim 2015. 256 Seiten.
ISBN 978-3-9816416-5-3. EUR 17,90
Aus gegebenem Anlass des Jubiläums „200 Jahre Rheinhessen“ und des Eigentumwechsels des Traditionsweingutes J.Neus in Ingelheim hat der Autor Dietz-Lenssen ein Stück Ingelheimer Kulturgeschichte in den Fokus gerückt. In vier Abschnitten hat er die Geschichte Ingelheims, des Rotweins mit besonderem Schwerpunkt in Ingelheim und Rheinhessen, des Weingutes J.Neus und schließlich der Weinstadt Mainz und der neuen Eigentümerfamilie Schmitz beleuchtet. Für das reich bebilderte Buch hat der Autor umfangreich recherchiert. Für die Ausführungen im Kapitel über das Weingut Neus war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass Josef Neus und seine Nachfahren viele für uns spannende und wichtige historische Belege sammelten und so der Nachwelt bewahrten, die jetzt von Dietz-Lenssen ausgewertet werden konnten.
Bereits in der Einleitung erfährt der Leser, dass Josef Neus von der Weißweinregion Obermosel im Jahre 1881 nach Ingelheim übersiedelte und dort eine Weinhandlung gründete. Doch schnell wurde er „Weinbergs-Besitzer“ und widmete sich als solchem der Rotweinsorte „Blauer Spätburgunder“.
Das vorliegende Buch begibt sich auf die Spuren des Rotwein-Pioniers, beleuchtet die reichhaltige Geschichte des Weingutes und spannt den Bogen zur Kulturgeschichte der „Rotweinstadt“ Ingelheim.
Das Kapitel über die Geschichte Ingelheims reicht nach Recherchen des Autors bis in die Römerzeit zurück, wo „Römisches Militär denkbar ist“. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Gebiet zwischen Mainz und Bingen der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten war. Sehr ausführlich wird anhand einer ausgesprochen umfangreichen Quellenlage die Karolingerzeit abgehandelt. Es war eine der Blütezeiten Ingelheims, die von der Entscheidung Karls des Großen getragen war, hier eine Kaiserpfalz zu errichten, die auch heute noch oder wieder zu einer Hauptattraktion der Stadt avancierte. Sie wurde von Karl dem Großen viermal und von seinen Nachfolgern bis ins 13. Jahrhundert oftmals aufgesucht. Seit der Zeit Karls des Großen sind Weinbau und Weinbereitung in Rheinhessen belegt. Als Zeitpunkt der ältesten sicheren urkundlichen Erwähnung von Weinbau gilt das Jahr 742, in dem die Niersteiner Marienbasilika samt Weinberg (Glöck) dem neugegründeten Bistum Würzburg geschenkt wurde. Nachweise für römischen Weinbau sind zwar sehr wahrscheinlich, jedoch nicht gesichert. Noch 2010 fasst Margarethe König den Stand der Erkenntnisse zusammen: „Als Ergebnis halten wir fest, dass es in Rheinhessen derzeit keinen überzeugenden Nachweis von römischem Weinbau gibt.“ Ebenso wenig ist laut Dietz-Lenssen belegt, ab wann im Ingelheimer Raum Rotwein-Rebsorten und hier insbesondere Spätburgunder kultiviert wurden.
Trotz Recherchen des Autors gibt es keine verlässlichen Quellen zur Rotweinproduktion in Ingelheim. Der hessische Geheimrat Johann Isaak von Gerning spricht von Anpflanzungen von roten Rebsorten im Jahre 1730, betont aber gleichzeitig, dass die daraus gewonnenen Weine bezüglich „Feuer und Güte“ nicht an den Aßmannshäuser herankommen.
Johann Wolfgang von Goethe, der 1814 auf seinem Weg von Wiesbaden zum Rochusberg, wo er das Rochusfest besuchte, nach Ingelheim kam, war nach Verkostung in Bezug auf den Rheinhessischen Rotwein einer Meinung mit ihm.
Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert konnte die Qualität der Rotweine mit denen anderer renommierter Anbaugebiete mithalten. Bei den Weltausstellungen im Jahre 1900 in Paris und 1904 in St. Louis, an denen mehrere rheinhessische Weinhandlungen und Weingüter – unter anderen auch J.Neus – ihre Weine präsentierten und zum Verkauf brachten, wurde die Qualität der Weiß- und Rotweine sehr geschätzt. Spätestens seit den Weltausstellungen zählte der Ingelheimer Wein auch in internationalen Fachkreisen zu den gefragten Spitzenweinen.
Das reich bebilderte Kapitel über das Weingut Neus wird eingeleitet von einer Serie von Abbildungen von Etiketten der von der Kellerei vertriebenen Weine von 1915 bis 2013. Danach folgt die Abhandlung der interessanten und von unternehmerischem Weitblick getragenen Lebensgeschichte der Familie und des Weingutes. Als besondere Tat des Firmengründers wird vom Autor die Rettung des Spätburgunders in Ingelheim ab dem Katastrophenjahr 1906 hervorgehoben. Die Reblaus, der „Falsche“ und der „Echte Mehltau“ hatten Ertrag und Rebanlagen derart stark dezimiert, dass J. Neus mit Weitblick und unter Anleitung von Weinbaulehrer Konrad Willig Klonenselektion betrieb und die positiven Ausreißer-Rebstöcke selektierte, um sie weiter zu vermehren. Daraus entstand der heute noch bekannte und berühmte Neus-Klon: klein und lockerbeerig mit dicker Schale, dem Burgundertyp ähnlich.
Mit einem Exkurs zur Landeshauptstadt Mainz und der Unternehmerfamilie Schmitz mit Weinhandel, späterer Dampfschifffahrt-Gesellschaft bis zur Spedition Kayser enden die sehr interessanten und empfehlenswerten Ausführungen.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 2/2016