Rudolf Nickenig:
Vom harten Hengst zum feurigen Riesling. Spurenlese zwischen Ruinen, Reben, Reisenden und Winzerhelden am Mittelrhein.
Verlag Matthias Ess, Bad Kreuznach 2015. 288 Seiten, 108 Abb., 26 Tabellen.
ISBN 978-3-945676-06-6. EUR 19,80
Schemenhaft treten die Konturen der Landschaft des Mittelrheins auf den beim ersten Hinschauen scheinbar freien Seiten zwischen den Kapiteln zutage. Der Autor zeichnet und erhellt sie in seinem spannenden Buch; spannend, weil anders als sich historische Landschaftsbetrachtungen und klassische Weinbücher meistens darstellen. Seine „Spurenlese zwischen Ruinen, Reben, Reisenden und Winzerhelden“ fesselt den Leser auf besondere Weise. Und sie ist gewürzt mit „Geschmacksverstärker“, nämlich Heimatliebe des am Mittelrhein Geborenen und gleichzeitig analytisch klarem Hinsehen des weinbauhistorisch und -politisch Erfahrenen. Das alles ist eingepackt in eine immer wieder wechselnde Form der Kommunikation mit historischen Größen, Zeitzeugen und Protagonisten. Es sprechen berühmte Persönlichkeiten der Vergangenheit zu uns, sorgsam entstaubt, ans Licht geholt und nach Details befragt, die sich in eine Kette des Woher und Wohin einklinken lassen. Da bleibt Rudolf Nickenig aber nicht stehen: das Heute und der perspektivische Blick auf Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten dieser faszinierenden Landschaft und ihres Weinbaus liegen ihm ebenso am Herzen, wie die Erklärungen für die Gesetzmäßigkeiten des Wandels über die Jahrtausende hinweg.
Der Gedankenaustausch mit seinem französischen Kollegen Pascal setzt den Rahmen, in dem sich die Befragungen vieler, die das Thema erhellen können, abspielen. Und obwohl einige dieser zumeist würdigen Herren einige hundert Jahre auf dem Buckel haben, sind Begriffe wie googeln und downloaden, PC und Laptop, E-Mail und E-Books ja sogar Wikipedia, Konferenz, Interview, Internetforum und Fachseminar allgegenwärtig. Der Autor mischt Geschichte und strukturelles Datengebäude auf erfrischende Weise auf und reichert sein Buch damit so an, dass man es nicht mehr aus den Händen legen will. „Wen hat er jetzt im Visier?“ fragt man sich, wenn man die nächste Seite aufblättert. Und das Rationale seiner Fragen wird immer wieder aufgelockert von originellen bis satirischen Anmerkungen und Einlassungen, so wie wir den Leitartikler und Gesprächsführer kennen.
Der Autor widmet seinem Thema zehn Kapitel. Er begibt sich auf die Spur nach der Abgrenzung des Begriffes Mittelrhein und dem „Drang nach der Mitte“ in einigen Regionen am Rhein, wo wir ihn eigentlich nicht vermutet hätten. Der Neigung der romantischen Reiseberichter, sich ganz besonders beim Rheingau aufzuhalten, setzt er „Mittelrheinischen Pfunde“ entgegen und begibt sich dazu selbst auf die Fahrt mit einer historischen „Wasserdiligence“ von Mainz nach Koblenz. Natürlich sucht er nach den ersten Spuren des Weinbaus und fragt nach den Gründen seiner wechselvollen Entwicklung. Rebsorten- Anbau- und Qualitätsfragen werden erhellt und es ergeben sich gemeinsam mit den historischen und zeitgenössischen Gesprächspartnern Erklärungen für Weichenstellungen und Trends. Warum ist der Weinbau gerade hier so stark zurückgegangen, welche Bedeutung hatte und hat er für die dort lebenden Menschen, wie haben die politischen Verhältnisse eingewirkt und welche Mittel und Maßnahmen haben die Regierenden in positivem und negativem Sinne eingesetzt? Wie brachen sich Eigeninitiative und Engagement des Berufsstandes Bahn? Rudolf Nickenig bilanziert Entwicklungen und fasst sie in Daten, immer bemüht, das statistisch Nackte anschaulich darzustellen und es ansprechend bis kokett zu verpacken, damit den Leser keine Müdigkeit befällt. Und spätestens, wenn irgendwo Trockenheit, verursacht von Zahlen und Erklärung von Strukturen, aufkommen sollte, hat er den passenden Mittelrhein-Wein im Glas um uns zu erfrischen und erfreut uns mit dem nächsten Geistes blitz. Natürlich wird dann in der „Auswertung der Spurenlese“ ein ausladender „Talk am Mittelrhein“ veranstaltet, um die Perspektiven des Gebietes und seines Weinbaus eingebunden in betriebliches Marketing und regionale Entwicklung zu definieren. Das letzte Wort liegt bei bekannten Winzerinnen und Winzern, die realistische Chancenabwägung im Auge haben und bereits heute beweisen, was beim wertigen Produkt möglich ist.
Das Buch spiegelt gründliche Recherche wider und gibt im umfangreichen Quellenverzeichnis und statistischen Anhang Anreize zur Vertiefung. Seine Gestaltung mit Farben und Bildern regt an, es in die Hand zu nehmen. Die abgebildeten Weinetiketten erlauben Assoziationen an Getrunkenes und zu Trinkendes und sie erinnern an originelle und berühmte Weinlagen des Mittelrheins.
Verfasser: Dr. Peter Fuchß, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 3/2015