2025: Tal und Tälchen. European Essays on Nature and Landscape
Göttert, Karl-Heinz: Tal und Tälchen. European Essays on Nature and Landscape. Hamburg 2024. 144 Seiten; ISBN: 978-3-96194-248-0. 22,00 Euro.

„Tal und Tälchen“ gehört zur Reihe der „European Essays on Nature and Landscape“, die sich essayistisch mit den Themen Natur und Landschaft befassen. In dem hier besprochenen Band geht es um das Obere Mittelrheintal und seine durch die Zuflüsse geprägten Tälchen. Man nimmt das Büchlein gerne zur Hand. Der Text ist mit überwiegend farbigen Abbildungen illustriert. Auf einer Doppelseite findet der Leser eine Karte des Rheintales zwischen Koblenz und Bingen, die sich gut zur Orientierung eignet. So hat man den Rheinsteig, 22 Burgen, Loreley und Spitznack, das Steeger Tal, die Pulsbachklamm und (weitere) Orte, die der Autor Karl-Heinz Göttert beschreibt und besucht hat, während der Lektüre problemlos im Blick. Im Vor- und Nachsatz „dräut“ (man kann es schwerlich anders ausdrücken) eine beeindruckende Zeichnung des engen Tales mit der Loreley.
Göttert macht auf rund 130 Seiten aus seiner „Anhänglichkeit an dieses Rheintal“ keinen Hehl. Vor allem sind es pointiert persönliche Begegnungen mit der Landschaft und ihren Menschen, die er schildert. Der an Natur und Kultur interessierte Leser profitiert von diesen gut vorbereiteten Kontakten, den Informationen und Reflexionen des gebürtigen Koblenzers, den die Frage umtreibt: „Was ist das eigentlich genau – eine Kulturlandschaft?“
Das Themenspektrum könnte breiter nicht sein. Am Beispiel seines Geburtsortes schildert Göttert die typischen und wiederholt anzutreffenden Probleme der Siedlungen im Mittelrheintal. „Denn Ehrenbreitstein hatte früh mit den negativen Seiten des wirtschaftlich wie touristisch erschlossenen Rheintals zu kämpfen“. So rückt er die optische Abschnürung durch die Eisenbahnlinie, den landschaftsverändernden Bau der Bundesstraße als Hochstraße und die zeitweilig komplette Isolation des Ortes durch den Hochwasserschutz in den Blick. Im Kapitel „Vom Fachwerk und (zu) viel Verkehr“, das sich mit Rheinstädtchen wie Oberwesel und Bacharach befasst, nimmt er dieses Thema teilweise noch einmal auf. Das hübsche Bild vom „Rhein als Gräber des Mittelrheintales“ wird im Kapitel „Von Riffen, Sandbänken und Lachsen“ mit Leben gefüllt. „Höhenburgen und Spornburgen“ werden in ihrer Bedeutung für die geistlichen und weltlichen Herrschaften (Zölle), die Romantiker („Des Knaben Wunderhorn“), die Preußenprinzen und den Ruhrindustriellen Hugo Stinnes beleuchtet. Heute sind sie die Treiber des Rheintourismus. Besonders der Verbindung zwischen (Bau)- Kultur und Natur widmet sich der Abschnitt „Auf der Burg“: Der Autor sieht Mauerreste als „eine einzige Huldigung an das Rheinische Schiefergebirge“, betrachtet Moose und Flechten, den Weißen Mauerpfeffer und den Goldlack, den ein Kreuzritter mitgebracht haben könnte. An anderer Stelle macht er die Einmaligkeit der Natur im Mittelrheintal daran fest, dass mehr als ein Drittel aller in Deutschland heimischen Pflanzenarten dort auf 0,2 Prozent der Gesamtfläche vertreten sind. „Für die Fauna gilt Ähnliches“. Göttert bedauert, dass sich Falken, die er „die eigentlichen Burgherren“ nennt, und Dohlen bei seinem Besuch auf Burg Liebenstein nicht blicken lassen. Er vermisst den Burggarten, der den Bewohnern in alten Zeiten zur Ernährung und zu Heilzwecken diente. Bei diesem Thema lässt der Germanist Göttert, der als Hochschullehrer an der Universität Köln forschte und zuletzt in China lehrte, sein Vorwissen erkennen, das aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Pflanzen- und Tierbüchern von der Antike bis in die Frühe Neuzeit stammt. Wenn später „Von Felsen, Steinbrüchen und Stollen“ die Rede ist, erhält der Leser Einblicke in die Erdgeschichte und staunt über „eine Verbindung in 150 Metern unter dem Rhein, wo einmal Loren hin und her fuhren“.
Den Status als UNESCO-Welterbe verdankt das „Tal“ nicht zuletzt den menschengemachten Terrassierungen der steilen Berghänge. Damit spielt der seit dem 7. Jahrhundert urkundlich nachweisbare Weinbau im Oberen Mittelrheintal auch im vorliegenden Essayband eine nicht geringe Rolle. Auf knapp zwanzig Seiten im Zusammenhang und an mehreren anderen Stellen ist von den Mühen des Terrassenweinbaus, den Brachen und allzu seltenen Zuschüssen zur Erhaltung kleinparzellierter Hänge die Rede. Auch vom Bopparder Hamm mit seinen besten Weinlagen und dem Vermarktungsproblem des Mittelrheinweins, „weil er, anders als der Wein im benachbarten Rheingau, international kaum bekannt ist“. Göttert diskutiert die durch Flurbereinigung und Querterrassierung bedrohte Ästhetik des Kleinzelligen, stellt aber zugleich fest: „Auch der Weinbau hat keine „natürliche“ Ästhetik und schon gar keinen Anspruch auf kleinzelligen Terrassenanbau“. Im Austausch mit dem Winzer Florian Weingart, der nicht nur Bäume auf einer 1200 Jahre alten Weinbergsparzelle gerodet hat, um Reben anzupflanzen, sondern auch Weinbergspfirsiche und andere Obstbäume gepflanzt hat, notiert er eine Vision, die dem Mittelrheintal ein lebendiges Erbe bewahren könnte: „Die Idee ist, ein zusammenhängendes Stück traditioneller vielfältiger Kulturlandschaft nach ökologischen Gesichtspunkten dauerhaft zu erhalten und die Monokultur des Weinbaus vielfältig zu ergänzen“. Auf Weingarts Parzellen grasen Kamerunschafe und Kühe befreundeter Landwirte. Dem Riesling hält auch dieser Winzer trotz der Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, die Treue. Die vielseitige Rebsorte, die in der geschützten Tallage aufgrund des Terroirs ihre ganze Qualität ausspielen könne, habe Zukunft, wenn denn die Winzer als „originäre Pfleger und Hüter dieser Landschaft“ ihr Geschäft verstünden.
„Die unausweichliche Dynamik historischer Entwicklung“ im Blick, handelt „Tal und Tälchen“ auf anregende und unterhaltsame Art und Weise von der Vielfalt und der Identität des Oberen Mittelrheintals. Es motiviert zu Erkundungen und Wiederbegegnungen und kann auch zur Vorbereitung des für wein- und kulturinteressierte Zeitgenossen obligatorischen Ausflugs zur BUGA 2029 empfohlen werden.
Peter Schuh, Trier

