2023: Lucand, Christophe: Le Vin des Nazis

Lucand, Christophe: Le Vin des Nazis. Verlag Dunod, 336 Seiten. EAN/ISBN 978-2-10085-233-8. ca. 20,00 Euro. 

In seinem jüngsten Buch kommt Christoph Lucand wieder auf die Jahre 1940–44 und die Okkupation Frankreichs zurück, der er bereits 2017 eine Veröffentlichung gewidmet hatte. Der promovierte Historiker gehört in Frankreich zu den anerkannten Fachleuten auf diesem Gebiet, bekannt für akribische Auswertung von Archivmaterial. Das Cover-Photo eines aus der Flasche saufenden Soldaten und der Titel „Der Wein der Nazis“ führen in die Irre. Es geht gerade nicht um die Plünderung Frankreichs durch den Besatzer, sondern um die lukrativen Weingeschäfte französischer Kollaborateure und ihrer deutschen Partner.

So bizarr es erscheint: für die von Überproduktion geplagte Weinwelt Frankreichs war die Okkupation, rein kommerziell, erst einmal ein Segen. Goldgräberstimmung machte sich breit. Neue Akteure traten auf, denen die neu geschaffenen A.O.C.-Regelungen in die Hände spielten. Der eigentlich gut eingespielte Weinhandel kam ins Schwanken und es wurden für die französischen Weinregionen bevollmächtigte „Weinführer“ eingesetzt.  Auch wenn Lucand es nicht thematisiert, so zeigen ihre Biographien, dass da ein eingespieltes Team am Werk war. Die „Weinführer“ waren absolut keine Unbekannten in Frankreich. Man arbeitete lange, oft schon seit Generationen zusammen. Die neue Situation war kein Bruch, sondern die Fortsetzung der guten Kooperation unter noch besseren Bedingungen. Auch die „Stunde Null“ am Ende der Besatzungszeit fällt aus. Man lud sich noch einmal zum Essen ein, verabschiedete sich freundlich und freute sich auf die baldige Wiederaufnahme der Geschäfte.

Kein Index hilft, den Überblick über die Fülle an Personen zu behalten, die der Text einführt – umso bedauerlicher, als der Leser auch nicht auf das Lexikon der „Persönlichkeiten der Weinkultur“ der GGW zählen kann: die deutschen Hauptakteure wie z.B. Joachim von Ribbentrop (im Nebenberuf Weinhändler, Deutschland-Vertrieb für Champagner Mumm und Pommery, Schwiegersohn von Otto Henkell),  Otto Kläbisch (Generalagent von Lanson, Martell und Dubonnet, Geschäftsführer von Matheus Müller in Eltville, Schwager von Ribbentrop, Weinführer Champagne), sein Bruder Gustav Kläbisch (Weinführer Charente, wo die Familie eine Firma besaß), Friedrich Dörrer aus München und sein Nachfolger Adolph III Segnitz (Weinführer Burgund, Rhône, Provence), Heinz Bömers (Besitzer verschiedener Firmen in Deutschland und Frankreich, darunter Reidemeister & Ulrichs in Bremen, Weinführer Bordeaux) sind dort (noch) nicht zu finden.

Lucand zeichnet die Beziehungen der Besatzer zu den Konsumenten in den besten Kreisen der französischen Gesellschaft nach, aber auch den Weg der Massenware. Schließlich zeigt er, wie französischer Wein von einem begehrten Getränk zu einem strategischen Rohstoff der Kriegswirtschaft wurde und sogar destilliert im Antrieb von V1 und V2 landete. Der nationalsozialistische Durst nach Wein wird so eindrücklich geschildert, dass man glauben möchte, Deutschland sei ein Land ohne Wein. Der Stil des Werkes ist etwas pathetisch. Ein wohlwollendes Lektorat hätte hier Gutes tun können. Manche Stilmittel, die den Textfluss wohl lebendig machen sollen, wirken deplatziert. Die Charakterisierung deutscher Nazigrößen bleibt in Karikaturen und an Äußerlichkeiten hängen, die dem Verständnis nicht helfen – und gerade dem französischen Leser sicher nicht geholfen haben.

Nach der Lektüre bleibt der Eindruck, dass es sich eher um einen Ergänzungsband des 2017 erschienenen „Le Vin et la Guerre“ handelt, als um ein eigenständiges Werk. Dem Interessenten für diese Thematik sei hiermit nicht dieses, sondern beide Bücher empfohlen. Leider liegen die Arbeiten von Christophe Lucand bisher in englisch und japanisch, aber nicht in deutscher Sprache vor, was angesichts ihrer Bedeutung für die deutsch-französische (Wein-)Geschichte nicht nachzuvollziehen ist. 

Den größten Gewinn aus diesen beiden Werken werden Forschende ziehen, die sich dem Thema in einer deutschen, deutsch-französischen oder europäischen Perspektive nähern. Allein die Auflistung der Aktenbestände und die Bibliographie geben so einem Projekt eine wertvolle Starthilfe.

Literatur:

Lucand, Christophe, Le Vin des Nazis. Collection Essais Français, Grasset, Paris 2023, 325 Seiten.

Lucand, Christophe, Le vin et la guerre. Comment les nazis ont fait main basse sur le vignoble français, Paris, Armand Colin, 2017, 448 Seiten.

Karoline Knoth, Meursault

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