2019: Ammerer, Gerhard/Waitzbauer, Harald: Bacchus in Salzburg
Ammerer, Gerhard/Waitzbauer, Harald: Bacchus in Salzburg. 1000 Jahre Weinkultur, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2019, 205 S. Durchgehend farbig bebildert. ISBN 978-3-7025-0959-0, Preis: € 28,-
Ist oder war Salzburg eine Weinstadt? Wenn man die 1993 vom Trierer Historiker Lukas Clemens in seiner Dissertation zur Weinstadt Trier entwickelten Merkmale des Siedlungstypus „Weinstadt“ heranzieht, mag man dies bezweifeln: 1. Lage der Stadt in einem Weinanbaugebiet, 2. eine Beteiligung breiter Bevölkerungsschichten an der Weinproduktion, 3. ein differenziertes Weinbaugewerbe im Rahmen genossenschaftlicher Organisationsformen, 4. die Konzentration kostspieliger Produktionsstätten sowie 5. das Vorhandensein eines innerhalb der Stadt dominierenden Weinmarktes (mit entsprechenden Lagerkapazitäten und günstiger Verkehrsanbindung). Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie aus Sicht der Wirtschaftsgeschichte würde man also wohl lange nicht alle diese Merkmale für Salzburg erfüllt sehen. Das vorliegende Buch des Salzburger Historikers Gerhard Ammerer (Leiter des Zentrums für Gastrosophie der Universität Salzburg) und seines Koautors, des Kunsthistorikers Harald Waitzbauer, erhebt nicht den Anspruch einer solchen Studie, ist aber dennoch auf der Grundlage einer umfangreichen Archiv- und Literaturrecherche sowie eigener Feldforschungen in Weinbergen und Weinkellern entstanden. Nachdem das Autorenteam gemeinsam zwei Bücher zur Salzburger Wirtshaus- und Braukultur veröffentlicht hat, wendet es sich in diesem Buch der Frage zu, ob es in Salzburg eine Weinkultur gibt. Schon in der Einleitung beantworten sie dies, wie sie schreiben, typisch österreichisch: Eigentlich nicht, aber irgendwie schon. Um es gleich am Anfang zu sagen: Die zwei Autoren, die sich als „Wein(zeit)zeugen“ outen, haben ein sehr schönes und lesenswertes Buch geschrieben, welches viele Überraschungen birgt und aufdeckt. Schon das Titelbild zieht an: Es zeigt einen interessiert zum linken Buchrand blickenden, mit barocker Bürgerkleidung angetanen Herrn mit weißer gelockter Perücke, in der Hand ein kurzstieliges Glas Rotwein. Gerne möchte man wissen, welchem Gespräch der Herr lauscht oder wem er zuprostet. Das Inhaltsverzeichnis zeigt eine wohlüberlegte Gliederung, die Ausstattung besticht durch eine reiche, interessante und qualitativ hochwertige Bebilderung. Am Anfang steht ein Kapitel über die nach Salzburg eingeführten Weine vor allem in der Frühen Neuzeit mit Einblicken in die Weinversorgung aus Eigenbau in der Wachau und Wien des Klosters St. Peter und der Fürsterzbischöfe sowie in den bürgerlichen Weinhandel der Stadt. Es folgt ein quellengesättigtes Kapitel über den „Wein am fürsterzbischöflichem Hof“, in dem die große Bedeutung des Weines für die Haushaltsführung dieser Residenz schon an der Menge des 1555 eingelagerten Weines deutlich wird: 8262 Eimer (467 650 Liter). Wenn man bedenkt, dass Wein ein wichtiger Lohnbestandteil der Hofbediensteten war, verwundert diese große Menge nicht. Dann wenden sich die Autoren dem „Wein in der Bürgerstadt“ zu. Darin geht es um die städtischen Weinhandels- und Ausschankregularien, um die Besteuerung, um privaten Weinkonsum, Zerstreuungen und Veranstaltungen und zuletzt um die Publizistik zum Thema Wein. Alles ist reich mit Quellen dokumentiert und reich bebildert. Das folgende Kapitel blickt über die Stadt hinaus auf die mittelalterlichen Wurzeln der Weinversorgung Salzburgs in den frühen altbairischen Weinbaugebieten um Regensburg (Baierwein), aber auch in der Nähe, wie am heute im bayerischen Landkreis Berchtesgadener Land gelegenen Högl, wo im 12. Jahrhundert Weinberge des Salzburger Domkapitels lagen. Einzelne spätmittelalterliche Weingärten lagen auch an den Hängen des Salzburger Mönchbergs. Wichtiger waren aber die „auswärtigen Herrschaften“ der Salzburger Kirchen in Niederösterreich, besonders in den nach Erzbischof Arn (ca. 740-821) benannten Arnsdörfern in der Wachau, zu denen ein eigener Abschnitt einen richtigen Reiseführer für den weinhistorisch interessierten Automobilisten (oder Radfahrer) enthält. Die alte Verbundenheit dieser Dörfer mit Salzburg dokumentieren in diesen Orten die „Rupertiwinzer“, die zu Ehren des ersten Salzburger Bischofs einen eigenen Rupertiwein abfüllten. Auch dem im 11. Jahrhundert immer weiter ausgebauten Weinbergbesitz des Klosters St. Peter in Wien-Dornbach ist eine eigene Reise (nun mit der Bahn) gewidmet. Spannend ist der Abschnitt „Bergland“: Wie auch in Altbayern, so gibt es auch im Salzburger Land Menschen, die mit der Weinerzeugung in bislang noch nie oder in historisch bereits einmal bestockten Flächen begonnen haben. Dies reicht heute von Michaelbeuern (im Flachgau nördlich der Landeshauptstadt) über den Salzburger Mönchsberg bis hinein in das Gebirge bei Lofer (und nach Drucklegung dieses Buches sogar bis in das obere Saalachtal bei Saalbach im Mitterpinzgau). Drei Kapitel beschäftigen sich dann mit der Salzburger Weingastronomie. Im ersten der drei wird ein erneut auf zahlreichen archivalischen Forschungen der Autoren beruhender Einblick in die Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts geboten. Ein besonderer Blick wird auf die obrigkeitlichen Eingriffe und Vorschriften in Ausschank, Weinpreis und Weinqualität geworfen, vertieft durch vier Beispiele. Dann folgt eine Annäherung ans Heute: Vom 19. Jahrhundert bis ins beginnende 20. Jahrhundert und weiter mit den „Trends der letzten Jahrzehnte“. Man liest von Weinstuben, Dopplerflaschen, Weingartln, von den, in den 1970er Jahren auch in Salzburg auftauchenden, Heurigen (eigentlich eine Ausschankform der „echten“ Weingegenden), vom Weinskandal und von einer neu formierten, mehr an Qualität denn an Quantität orientierten Weinkonsumkultur. Ganz zum Schluss bieten die Autoren dann dem Salzburgbesucher erneut einen Reiseführer: „Tour de Vin – Weinparcours durch die Stadt Salzburg“. Mit diesem sehr persönlichen Einblick in die Orte des Weingenusses in Salzburg ausgestattet, kann man in der Festspielzeit die lange Wartezeit vom Frühstück im Caféhaus bis zum Beginn der Aufführung im Festspielhaus bestens überbrücken.
Andreas Otto Weber, München