Bericht über die Jahrestagung 2025
Vom 21. bis 23. März 2025 traf sich die Gesellschaft für Geschichte des Weines e. V. (GGW) zu ihrer Jahrestagung im Rheingau – eine sehr gut besuchte Veranstaltung mit einem vielfältigen Programm zwischen Geschichte, Forschung und Genuss. Den Auftakt der Tagung bildete am Freitag die Mitgliederversammlung, die Vortragsveranstaltungen starteten am Samstagvormittag.
Vortragsprogramm Teil 1
Geschichtliches und wissenschaftliches zur Spätlese

Der Beginn der Jahrestagung führte die Teilnehmenden in den Gerd-Erbslöh-Hörsaal der Hochschule Geisenheim University, wo zunächst die historischen Vorträge rund um die Entdeckung der Spätlese den Anfang machten. In seiner Begrüßung und Einführung betonte der Präsident, Prof. Dr. Andreas Weber, dass ein um eine spezielle Genehmigung ersuchender Bote bereits seit dem Mittelalter ein häufiges Phänomen in der Geschichte gewesen sei. Der Johannisberger Traubenbote, der mit seiner Verspätung die Entdeckung der Spätlese initiierte, sei folglich kein Einzelphänomen.

Anschließend begrüßte der Präsident der Hochschule, Prof. Dr. Hans Reiner Schultz, als Hausherr die Gäste und gab einen kurzweiligen Einblick in die Historie sowie zu den aktuellen Herausforderungen und Entwicklungen im Bereich der Hochschule. Die weinbaufachliche Forschung steht angesichts des fortwährenden Wandels von Klima und Rahmenbedingungen vor immer neuen Herausforderungen. Der Präsident unterstrich die Bedeutung der internationalen Kooperationen – nur im Verbund seien die strukturellen Veränderungen im Weinbau – zu bewältigen.
„Der verspätete Traubenbote 1775“

Im ersten Vortrag erläuterte Oliver Mathias, Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung der Rheingauer Heimatforschung e. V., die historischen Hintergründe, die im Jahr 1775 zur Entdeckung der Spätlese auf dem Johannisberg geführt hatten. Einleitend beschrieb er zunächst die baulichen und strukturellen Veränderungen auf dem Johannisberg nach der Übernahme der gesamten Anlage durch die Fürstäbte von Fulda im Jahr 1716. Die Rebflächen wurden dabei deutlich erweitert und der damals noch weitestgehend im Rheingau vorherrschende gemischte Satz fast ausschließlich durch Rieslingreben ersetzt. Anschließend fasste Mathias den Forschungsstand zur historischen Figur des nach Fulda entsandten Traubenkuriers zusammen, so wie er uns heute durch die Arbeiten des ehemaligen Domänenrates Josef Staab bekannt ist. Der Reiter ist über viele Jahre in den historischen Quellen nachweisbar, auch wenn viele Fragen aufgrund fehlender oder verlorengegangener Unterlagen bedauerlicherweise nicht mehr beantwortet werden können.
So gibt es vom Kurier des Jahres 1775 weder ein Bild noch ist sein Name überliefert. Dessen ungeachtet, sind ihm aufgrund seiner ungewollten Verdienste heute auf dem Johannisberg zwei Skulpturen und auch in Fulda ein eigenes Denkmal gewidmet worden. Am Ende seines Vortrages gab Mathias einen kurzen Ausblick in das 19. Jahrhundert und schilderte, dass die Johannisberger mit dem von ihnen entdeckten Verfahren der späten Lese zunächst lange Jahre alleinige Vorreiter waren. Insbesondere die kleineren Betriebe im Rheingau hielten lange Zeit an der für sie bewährten Praxis fest und versuchten die Weinlese möglichst früh zu beenden. Am Ende setzte sich die Qualität jedoch durch, und so gilt die Entdeckung der Spätlese auf dem Johannisberg im Jahr 1775 bis heute vollkommen zurecht als einer der wichtigsten Meilensteine in der deutschen Weinbaugeschichte.

Im zweiten Referat stieg Prof. Dr. Leo Gros unter dem Titel „Postremus metito“ – Vor und ähnliche Geschichten zur Spätlese 1775 in Johannisberg eine Etage tiefer in die Geschichte ein und machte sich daran, dass „Knäuel der Überlieferung“ zu entwirren. Schon beim römischen Schriftsteller Vergil findet sich der im Vortragstitel zitierte Hinweis, der Winzer solle als letzter seine Trauben lesen. Den Zusammenhang zwischen später Lese überreifer Trauben und der besonderen Qualität der so erzeugten süßen Weine hatte man erkannt.
Bei späten Lesen im Rheingau vor 1775 gab es hierzulande und anderswo immer wieder Berichte über diese Praxis. Exemplarisch ausgewählte Beispiele zeigten, dass die Verarbeitung überreifer, vielfach vom Edelfäulepilz befallener Trauben klar von der Trocknung geernteter Trauben in der Sonne zu unterscheiden ist. Seit der Antike kannte man auch die Risiken später Lese – Qualitätsminderung oder gar Verlust der Ernte bei schlechtem Wetter. Deshalb setzte sich die Spätlese letztlich nicht nachhaltig und systematisch durch.
In Fortführung der von Josef Staab geprägten Forschung betonte Gros, dass hingegen im Jahr 1775 die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen seien: In einem „Botrytisjahr“ par excellence vertrauten die Verantwortlichen in Fulda dem Johannisberger Kellermeister und zogen aus der im Frühjahr darauf verkostend erschmeckten besonderen Weinqualität den Schluss, das müsse man – wann und wo möglich – nun immer so machen. Insofern wurde das älteste Riesling-Weingut der Welt auf dem Johannisberg zur Wiege der Spätlese.

Anschließend lieferte Prof. Dr. Linda Muskat vom Institut für Phytomedizin der Hochschule Geisenheim einen naturwissenschaftlichen Zugang zum Thema. Unter dem Titel „Botrytis cinerea – Die Edelfäule der Trauben“ konnte sie einen äußerst lebendigen und anschaulichen Einblick in die vielfältige und spannende Welt der Pilze geben. Den Botrytispilz, der bereits im Jahr 1729 von Pietro Antonio Micheli in seinem Werk „Nova Plantarum Genera“ erstmals beschrieben wurde, charakterisierte sie dabei aus heutiger Sicht als ein durchaus wechselhaftes Phänomen. Mal trete dieser als Schurke und mal als Held im Weinberg in Erscheinung.
Anschaulich beschrieb Prof. Muskat im Folgenden den Lebenszyklus von Botrytis cinerea, die Entstehung des Namens sowie die richtigen Witterungsbedingungen für dessen Ausbreitung. Dabei betonte auch sie die besonders geeigneten Bedingungen des Jahres 1775 zur Ausbreitung der Edelfäule im Rheingau. Einprägsam und gut verständlich erläuterte sie, wie sich die Botrytis infolge von Rissen oder Verletzungen Zugang zur Traube verschafft und anschließend die Edelfäule entsteht. Durch die Perforation der Beerenhaut verdunstet das Wasser aus der Beere – das führt zu einer Konzentrierung des Beerensaftes.

Im Anschluss referierte Prof. Dr. Doris Rauhut vom Institut für Mikrobiologie über sensorische und geschmacksprägende Aspekte der Spätlese. „Was macht Botrytis mit dem Weingeschmack“ lautete der Titel ihres Vortrages. Bei ihren Ausführungen konzentrierte sie sich zunächst auf die Zuckerkonzentration im Traubenmost und die Aromaintensivierung edelsüßer Weine. Gleichzeitig stellte sie die große Aromenvielfalt edelsüßer Weine heraus. Bei jungen Botrytisweinen dominieren oftmals exotische Noten, wohingegen ältere oder gereifte Weine stärker nach kandierten Früchten oder Karamell schmecken beziehungsweise eine nussige oder honigartige Wahrnehmung mitbringen.
Prof. Rauhut präsentierte die wichtigsten analytischen Parameter, beschrieb die bedeutsamen Veränderungen beim Zuckergehalt und erläuterte die Beziehung der unterschiedlichen Hefen und der Botrytis mit ihren Auswirkungen auf die Aromaentfaltung des Weines. Insgesamt gab sie damit einen spannenden Einblick in die Vielfalt der Aromaforschung.
Zum Abschluss des Vormittages lieferte Rechtsanwalt Michael Else einen Vortrag, bei dem der „Begriff der Spätlese im Weinrecht“ aus juristischer Perspektive unter die Lupe genommen wurde. Unter Bezugnahme auf eine ältere und gleichlautende Arbeit von Dr. Hans-Jörg Koch hatte er seinen Vortrag in die folgenden Abschnitte gegliedert:
- Spätlese historisch
- Spätlese im Wandel
- Spätlese heute und
- Spätlese in der Zukunft

Bei der historischen Einordnung beschrieb Else zunächst die Definition der Spätlese aus dem Weingesetz von 1930. Diesbezüglich war in der Ausführungsverordnung von 1932 das Folgende festgeschrieben: „Als Spätlese darf nur ein ungezuckerter Wein von solchen Trauben bezeichnet werden, die erst nach der allgemeinen Lese in vollreifen Zustand geerntet worden sind.“ Trotz dieser Regelung blieb die Spätlese in den folgenden Jahrzehnten „immer in Gefahr“ und von Fälschungen bedroht. Spätherbst, Konsumspätlese, Letztlese und Cabinetwein dienten als Beispiele, um die vielfältigen und durchaus kreativen Fälschungsversuche zu beschreiben.
Insgesamt hat sich an den rechtlichen Voraussetzungen über die Jahrzehnte nur wenig verändert. „Bei der Spätlese dürfen nur vollreife Weintrauben verwendet werden, die in einer späten Lese geerntet worden sind“, so die heutigen Bestimmungen. Am Ende stellte Else heraus, dass Botrytis bis heute keine rechtliche Voraussetzung der Spätlese ist, auch wenn sie nach wie vor für den Charakter dieser Weine von entscheidender Bedeutung ist.
Vortragsprogramm Teil 2
Der zweite Vortragsteil fand am Sonntagvormittag statt. Das Thema lautete:
Wein-Forschung in Geisenheim: gestern – heute – morgen
„Lehre in Geisenheim von der Königlich Preußischen Lehranstalt zur Hochschule Geisenheim University“ lautete das Thema von Prof. Otmar Löhnertz, ehemaliger Vizepräsident Lehre der HGU und Leiter des Instituts für Bodenkunde und Pflanzenernährung. Der Vortrag gliederte sich in 6 Teile:
- Gründung der Lehranstalt 1872 und die ersten Jahre
- Müller-Thurgau, Goethe und Wortmann 1876 – 1914 – „Vereinigung Ehemaliger Geisenheimer“ VEG – Alumni Association
- Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg (1914 – 1945) – Frauen im Studium
- Neustart 1946 – 1971
- Fachhochschule Wiesbaden (1971 – 2013) – (Fach)-Hochschul-Ausbildung
- Hochschule Geisenheim University nach 2013

Löhnertz zeigte, wie die Visionen des Gründers der Lehranstalt von einer angewandten Forschung und entsprechendem Unterricht sich bis heute weiterentwickelten.
Die frühen Jahre sind durch wissenschaftliche Vorreiter ihrer Zeit geprägt, wie Müller-Thurgau, Goethe und Wortmann. In dieser frühen Zeit (1894) entstand aber auch die „Vereinigung Ehemaliger Geisenheimer“ VEG – Alumni Association, die eine Kommunikationsplattform von heute fast 3000 ehemaligen Studierenden darstellt. Löhnertz veranschaulichte seinen Vortrag durch viele historische Bilder von Gebäuden, Urkunden, Stundenplänen, geschnitzten Fassböden, Wissenschaftlern und Studierenden.
Während des 1. Weltkriegs wurde der Unterricht eingestellt. Stattdessen liefen 15 Kurse mit insgesamt 1056 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die sich mit der Sicherung der Ernährungslage befassten, z. B. Obstverwertungskurse für Frauen. Erst 1919 begann der Unterricht wieder in alter Form. Mit dem Ausscheiden von Prof. Wortmann und der Nachfolge durch Prof. Rudloff trat die Forschung stärker in den Vordergrund. Die Lehre wurde 1941 sogar komplett eingestellt.
Nach dem Ende des 2. Weltkriegs begann bereits 1946 der Unterricht in Geisenheim, und auch die Forschungsanstalt nahm ihren Betrieb wieder auf. 1960 erfolgte die Umwandlung in eine Ingenieurschule mit dem Abschluss „Ing. grad.“.
Mit der Gründung der Fachhochschule Wiesbaden 1971 wurde die Lehre in Geisenheim durch die neue Fachhochschule gestaltet, während die Forschung bei der Forschungsanstalt verblieb. Institutsleiter waren gleichzeitig Professoren an der Fachhochschule Wiesbaden. So waren Unterricht und Praxis gut verzahnt.
Die Absolventinnen und Absolventen erhielten nach Abschluss den Grad Dipl.-Ing. (FH). Die Geschicke der Forschungsanstalt lagen in den Händen von Prof. Claus, Prof. Dittrich und Prof. Schaller. Ab 2006 wurde das Studium auf Bachelor- und Masterstudiengänge umgestellt und durch Kooperationen mit Universitäten auch im Ausland erweitert.
Eine Zäsur stellte sicherlich die Kündigung des Staatsvertrags 2010 durch das Bundesland Rheinland-Pfalz dar. Nach längeren Diskussionen zu verschiedenen Optionen entschloss sich das Land Hessen zur Gründung der Hochschule Geisenheim University, die am 1. Januar 2013 ihren Betrieb aufnahm. Damit war auch das Promotionsrecht für Geisenheimer Studierende verbunden. Die HGU unterrichtet derzeit 8 Bachelor- und 10 Masterstudiengänge, bei denen mehrere mit universitären Partnern im In- und Ausland durchgeführt werden, oft auch in Englisch. Daneben hat die HGU zahlreiche Kooperationsabkommen weltweit für gemeinsame Forschungs- und Promotionsprogramme. Im Wintersemester 2021/22 studierten 1.812 Studierende in Geisenheim, davon 867 Weinbau und Weinwirtschaft.

„Die Geschichte der Düngung im Weinbau“ war das Thema mit dem sich Prof. Dr. Klaus Schaller, früherer Direktor der Forschungsanstalt und Leiter des Fachgebiets Bodenkunde und Pflanzenernährung, befasste.
Er spannte einen Bogen von den frühesten römischen Quellen bis zur Neuzeit zur Frage: Wie viel Düngung brauchen die Reben? Mögliche noch frühere Quellen dürften leider beim Brand der Bibliothek von Alexandria unwiederbringlich verloren gegangen sein. Schaller verglich die frühen römischen Quellen mit dem derzeitigen Stand der Wissenschaft, den Angaben der Schriften des KTBL (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V.).
Bei den Römern standen natürlich nur organische Dünger zur Verfügung. Durch Umrechnung der wahrscheinlichen Mineralstoffgehalte dieser organischen Dünger konnte Schaller zeigen, dass die Empfehlungen z. B. von Columella im frühen ersten Jahrhundert den heutigen Empfehlungen recht nahekommen. Auch die Bodenpflege und die dadurch resultierende Stickstofffreisetzung ähneln heutigen Bedarfsermittlungen. Während des Mittelalters blieben diese frühen römischen Erkenntnisse weitgehend unbekannt und die Düngung der Weinreben eher im Dunkeln. Erst mit der Aufklärung halten wissenschaftliche Ansätze, Versuche und Schlussfolgerungen zur Düngung der Reben wieder Einzug in Wissenschaft und Praxis. Aber erst Ende des 19. Jahrhunderts beginnen erste Exaktversuche zur Düngung der Weinrebe. Daraus resultieren entsprechende Düngeempfehlungen, die denen des KTBL nahekommen. Trotzdem geistern bis in die 1970er Jahre weit überhöhte Düngeempfehlungen durch die deutschen Weinlandschaften. In einer abschließenden Darstellung verglich Schaller verschiedene Empfehlungen miteinander. Dabei zeigte er, dass 2.000 Jahre nach Columella die Empfehlungen zur Rebendüngung wieder bei den römischen Erkenntnissen angelangt sind.

„Ein Novum für den Standort Geisenheim 1894: Gründung der Hefereinzuchtstation“ wählte Prof. Dr. Manfred Großmann, früherer Vizepräsident Forschung der HGU und ehemaliger Leiter des Instituts für Mikrobiologie, als Titel für seinen Vortrag.
Er zeigte auf, dass der Gedanke einer Hefezüchtung erst durch die Erkenntnis, dass eine Spontan- bzw. Urzeugung nicht existiert, entstehen konnte. Bis weit ins 19. Jahrhundert war die Idee der Spontan- oder Urzeugung auch im aufgeklärten Europa noch weit verbreitet. Man nahm vielfach auch unter Wissenschaftlern an, dass Organismen unter bestimmten Bedingungen spontan entstehen könnten: In Getreidelagern entstünden Mäuse, es bildeten sich Maden in Fleisch, und in Most Hefen – quasi von selbst. Letzteres konnte erst Louis Pasteur 1861 durch das Erhitzen von Most auf über 60°C widerlegen. Damit tötete er alle im Most vorhandenen Hefen ab, und es kam nicht zur Gärung. Hefen kamen also mit den Trauben in den Most und entstanden dort nicht spontan. Verfahren der Erhitzung auf ca. 65°C nennen wir auch heute noch Pasteurisieren. Da Hefen nicht spontan entstehen, sondern mit den Trauben in den Most gelangen, konnte man Hefen mit besseren Eigenschaften züchten und dem Most zusetzen. Erste Hefeselektionen und Versuche dazu führte in Geisenheim Müller-Thurgau durch. Wortmann setzte nach Müller-Thurgaus Weggang diese Arbeiten fort und gründet 1894 die Geisenheimer Hefe-Reinzucht-Station.
Wie so oft, ist das Prinzip der Reinzüchtung von Hefen einfach, nicht aber die praktische Umsetzung. Jedem Winzer und Kellermeister die für seinen jeweiligen Bedarf am besten geeigneten Hefen in ausreichender Menge zur Verfügung zu stellen, war einfach zu teuer. Schon die Erhaltung der zahlreichen Hefe-Stämme war sehr aufwändig. Durch einen Hefeansatz konnten die Reinzuchthefen in den Betrieben selbst zur ausreichenden Menge vermehrt werden. Später machten Trockenhefen es dann sehr einfach möglich, ausreichende Mengen jeder gewünschten Hefe zu bevorraten und Winzern und Kellermeistern bei Bedarf zur Verfügung zu stellen.
Großmann gab durch zahlreiche Originalfotos von Gebäuden, Hörsälen, Büros, Laboren, Dokumenten und beteiligten Wissenschaftlern einen lebendigen Eindruck von der damaligen Forschung und Wissensvermittlung.
„Reblaus – die Krise und ihre Lösung“ war das Thema von Prof. Dr. Ernst Rühl, ehemaliger Leiter des Instituts für Rebenzüchtung der HGU.

Reblaus (Phylloxera) ist wohl fast jedem Winzer und Weintrinker ein Begriff. Der Schädling, der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem den Weinbau Europas fast vernichtete, wird als solcher kaum noch wahrgenommen. Die Bezeichnung ‚Kleine Reblaus‘ für einen Perlwein von der Mosel veranschaulicht, dass man das Insekt nicht mehr als Gefahr betrachtet.
Die Identifizierung des Schädlings, seine Herkunft und letztendlich seine biologische Bekämpfung durch die Verwendung reblausfester Unterlagen waren das Resultat weltweiter wissenschaftlicher Kooperation und ein Meilenstein des biologischen Pflanzenschutzes. Im Nachhinein erscheint alles sehr einfach. Dabei spielten viele glückliche Umstände und kluge wissenschaftliche Köpfe, die sich gemeinsam der Bedrohung stellten, die entscheidende Rolle. Schon die Entdeckung der Reblaus in französischen Weinbergen durch Planchon, Bazille und Sauhut, die diese nicht an absterbenden, sondern an scheinbar gesunden Stöcken in der Nachbarschaft suchten und fanden, war rückblickend betrachtet genial. Wenige Wochen später las ein junger Engländer, Charles Riley, in St. Louis den Artikel Planchons und erinnerte sich, dass Asa Fitch ein sehr ähnliches Insekt bereits 1854 beschrieben hatte, allerdings nicht in Frankreich, sondern in Amerika, und nicht an Wurzeln, sondern an Blättern amerikanischer Wildreben. Im Nachhinein erscheint alles einleuchtend, aber die Zeitgenossen haben Jahre diskutiert, ob es sich um den gleichen Schädling handelt und ob dieser aus Amerika stammte und tatsächlich die Ursache des dramatischen Rebensterbens in Frankreich war.
Amerikanische Unterlagen, also Wurzelstöcke, auf die man die gewünschte Rebe aufpfropfte, mussten erst noch entwickelt werden, ohne zu wissen, wo man geeignete Wildarten für die Züchtung finden konnte. Von den untersuchten Wildarten hatte jede mindestens einen gravierenden Nachteil bei der Verwendung als Unterlage. Erst die Kreuzung verschiedener Arten brachte die Lösung. Dabei ist an fast allen Unterlagen die Art Vitis berlandieri Planchon, wegen ihrer hohen Kalktoleranz, beteiligt.

Ob das Reblausproblem damit endgültig im Griff ist, wissen wir nicht. Nicht beachtete Probleme können leicht zu Neuen werden. Die genetische Basis unserer Unterlagen ist sehr schmal. Nach den großen Erfolgen der frühen Unterlagen hörte die Züchtung neuer Unterlagen nach 1900 fast ganz auf. Heute dominieren nicht nur in Deutschland nur wenige Unterlagen den Markt. Fast alle diese Sorten sind nur tolerant gegen die Reblaus, nicht resistent. Der Schädling kann sich auf ihren Wurzeln hervorragend vermehren. In den Schnittgärten, den Rebanlagen, aus denen das Holz für die Unterlagen gewonnen wird, müssen Blattrebläuse bekämpft werden. Brauchen wir daher vollständig resistente Unterlagen? Das Institut für Rebenzüchtung der HGU hat die Frage mit „Ja“ beantwortet und in den letzten drei Jahrzehnten zahlreiche Zuchtstämme entwickelt, von denen die ersten beiden 2025 als Sorten eingetragen wurden (Vinto und Libero).