Jung, Carl (1878 – 1965)
Dr. Carl JUNG jun. – Weinhändler, Pionier der Entalkoholisierung
* 17. Mai 1878 in Lorch (Rheingau)
† 18. August 1965 in Rüdesheim am Rhein
Carl Jung erhielt seine schulische Ausbildung am Konvikt in Montabaur, welches er 1898 mit dem Abschluss der Hochschulreife verlassen konnte. Passend dazu hatte er anschließend den Wunsch, Priester zu werden und begann das Studium der Theologie in Münster. Doch am Ende kam es anders. J. wechselte nach Tübingen und inhaltlich zur Staatswissenschaft, wo er im Sommer 1902 auch promoviert wurde. Anschließend kehrte er in den Rheingau zurück, um im Lorcher Familienbetrieb mitanzupacken.
Dort hatte die Familie bereits im Jahr 1823 mit dem Weinbau begonnen. J.s Vater (ebenfalls Carl) hatte den Beruf des Küfers erlernt und wurde später Winzer im Vollerwerb. 1868 gründete er ebenfalls in Lorch die Firma Carl Jung als Weinhandlung mit angeschlossener Brennerei. Bei Verkauf ihrer Weine erhielten die Jungs im Laufe der Jahre immer wieder Absagen, da die potenziellen Käufer aus Gesundheitsgründen abwinken mussten. Um diesem Trend entgegen wirken zu können, reifte die Idee, dem Wein den Alkohol einfach zu entziehen, damit er ohne dessen schädliche Wirkung genossen werde könne. Was auf den ersten Blick so einfach klingt, erschien den meisten Zeitgenossen zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch als völlig absurder Plan.
Carl (junior) machte die Entalkoholisierung folglich zu seinem Projekt und er war es dann auch, der später als Pionier der Entalkoholisierung von Weinen in die Geschichte eingehen sollte.
Im heimischen Betrieb begann er mit praktischen Versuchen zur Entalkoholisierung von Weinen. Inspiriert von einem Bericht über eine Bergsteigermission im Himalaja, wo er lesen konnte, dass sich mit zunehmender Höhe die Siedetemperatur des Wassers von 100 auf 70 °C senkte, versuchte er dem familieneigenen Riesling seinen Alkohol zu entziehen. Schnell erkannte er jedoch, dass dies nur unter Vakuum möglich ist. Dadurch ließ sich die Destillationstemperatur so weit senken, dass ein störender „Kochgeschmack“ vermieden wurde. Gleichzeitig musste seine Apparatur aber auch so konstruiert werden, dass die unterschiedlichen Flüchtigkeiten von Alkohol und Aromastoffen genutzt werden konnten. Zum bestmöglichen Geschmackserhalt des Weins sollen nämlich beide möglichst getrennt voneinander aufgefangen und die Aromenfraktion hernach dem entakoholisierten Wein wieder zugeführt werden. Dies ermöglicht eine schonende Entalkoholisierung ohne größere Aromenverluste. Damit hatte er ein damals komplett neues Verfahren entwickelt. 1907 war es dann so weit, Jung konnte seine Erfindung beim kaiserlichen Patentamt einreichen, welche dort mit der Nummer 204595 patentiert wurde. In der Beschreibung wurde betont: „Dieses Verfahren hat den Zweck, aus Wein ein alkoholfreies Getränk zu erzeugen, das in Aussehen, Geschmack und Blume dem Naturwein möglichst ähnlich ist.“ Im Folgenden wurde das technische Verfahren erläutert, bei dem der Wein mittels Vakuumdestillation „entgeistet“ wurde. Und da er dabei teilweise bekannte Verfahren benutzte, wurde klargestellt: „Das Neue und den Gegenstand vorliegender Erfindung bildende Merkmal ist daher lediglich der vom Erfinder eingeschlagene eigenartige Weg zur Gewinnung und Abscheidung der Aromastoffe.“
Doch die weitere Entwicklung war alles andere als ein Selbstläufer. Wiederholt wurde die Firma Jung mit Klagen überzogen. Bis 1939 gab es allein acht Gerichtsurteile, in den festgeschrieben wurde, dass der Begriff „alkoholfreier Wein“ nicht irreführend sei. Einleuchtend hieß es: „Dieser Begriff ist aber auch nicht widersprüchlicher als ein koffeinfreier Kaffee, entrahmte Frischmilch, oder gegorener Most.“ Gleichzeitig lieferte der zunehmende Verkaufserfolg den Jungs auch die Bestätigung, dass sie wirtschaftlich auf dem richtigen Weg waren. Weltgeschichtliche Ereignisse, wie die Prohibition in Amerika während der 1920er und 1930er Jahre, trugen dazu bei.
Kurz darauf, im Jahr 1939 folgte der Wechsel des Unternehmens nach Rüdesheim. Dort konnten die Jungs dank ihrer erfolgreichen Geschäfte die repräsentative Boosenburg erwerben, wo zuvor die traditionsreiche Weinhändlerfamilie Sturm ihren Geschäften nachgegangen war. Dort bezogen die Jungs fortan auch ihren Wohnsitz und sind seitdem ein Rüdesheimer Unternehmen. J. blieb zeitlebens eng mit der Firma verbunden und arbeitete bis zu seinem Tode aktiv in der Geschäftsleitung mit. Bereits im Jahr 1950 hatte sein Sohn Hans Otto die Geschäftsführung übernommen.
Ansonsten war J. ein überaus vielseitig interessierter und begabter Mann. So galt er auch als ausgesprochener Liebhaber der Kammermusik und organisierte insbesondere in den 1920er Jahren in Lorch zahlreiche Konzerte. Und auch nach dem Umzug in die Rüdesheimer Boosenburg blieb er ein großer Liebhaber der Musik und verband dies mit einer überaus repräsentativen Haushaltsführung.
Bemerkenswert ist auch seine persönliche Verbindung zu Karl May. Bereits als Schüler hatte er dessen Bücher verschlungen und einen Briefkontakt mit dem berühmten Autor begonnen. Es folgten persönliche Treffen in Radebeul und Lorch, bevor der Kontakt nach der Jahrhundertwende langsam wieder einschlief.
Während der Zeit des Dritten Reiches galt J. den Nationalsozialisten als politisch unzuverlässig und musste zeitweise sogar für mehrere Monate in Haft. Glücklicherweise überlebte er – ebenso wie die Rüdesheimer Firma – die Zeit des Zweiten Weltkrieges weitestgehend unbeschadet, so dass er nach 1945 den eingeschlagenen Weg fortsetzen konnte und sich weiterhin um die Förderung alkoholfreier Weine und Sekt kümmern konnte. Im Jahr 1961 erhielt er für seine vielfältigen Verdienste das Bundesverdienstkreuz. J. starb am 18. August 1965 in Rüdesheim, wo noch heute auf dem Friedhof ein Grabstein an einen der bedeutendsten Rheingauer Pioniere des 20. Jahrhunderts erinnert.
Quellen
- Firmenarchiv Dr. Carl Jung, Rüdesheim
Auskünfte der Familie - Stadtarchiv Rüdesheim am Rhein
Autor:
Oliver Mathias, Geisenheim, Juni 2025