Riede, Paula (1923 – 2012)

Paula RIEDE, geb. Riede – Dr. phil., Geografin, Weinchemikerin, Politikerin, Bundestagsabgeordnete

* 19 Dezember 1923 in Schömberg (Zollernalbkreis)

† 16. Oktober 2012 in Fellbach-Oeffingen

Vater: Franz Riede (1881 – 1961), Oberlehrer, gebürtig aus Kolbingen Lkr. Tuttlingen

Mutter: Julie Riede geb. Eble (1889 – 1964), Wengertertochter aus Erlenbach bei Heilbronn

⚭ 1953 mit Dr. Paul Riede (1909 – 1992), Zahnarzt

3 Kinder: Eva Riede-Leibbrand, Cornelia Bürkle geb. Riede, Dr. Matthias Riede

 

Paula Riede wuchs mit drei älteren Brüdern zunächst im Zollernalbkreis auf. 1926 zog die Familie nach Heilbronn, wo R. 1942 das Abitur ablegte. Sie studierte an der Universität Tübingen Geografie, Germanistik und Geschichte. 1945 bis 1947 promovierte sie bei dem Arabienforscher Prof. Dr. Hermann von Wissmann im Fach Geografie. Da R. sich ein heimatkundliches Thema wünschte, teilte er sie Dr. Karl-Heinz Schröder zu, der zu dieser Zeit seine Habilitation zur Siedlungsgeographie des württembergischen Weinbaus vorbereitete. In ihrer Dissertation „Das Weinbaugebiet östlich des unteren Neckars zwischen Marbach und Gundelsheim“ beschäftigte sie sich u. a. mit dem Einfluss des Weinbaus auf Siedlungsformen und kam zu der bis heute gültigen Erkenntnis, dass der Weinbau im rechtsrheinischen Germanien, dem sogenannten Dekumatland, nicht auf die Römer zurückgeht.

Anschließend arbeitete R. zunächst im praktischen Weinbau im pfälzischen Weingut Johannitergut-Herrenhof, wobei sie zusätzlich davon profitierte, dass der Eigentümer Dr. Otto Sartorius als Dozent an der Universität Mainz Vorlesungen über die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus hielt. 1948 wechselte sie als wiss. Assistentin an die Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey unter Georg Scheu, wo sie Kreuzungsversuche mit Vitis Sylvestris durchführte, die Scheu in den Auenwäldern am Oberrhein gesammelt hatte. Ziel war, die Resistenz der Wildreben in das Erbgut der europäischen Edelreben einzubringen. Da Scheu ihr beschied, mit einem Dr. phil. „wirst Du bei uns nichts, bei uns muss man einen rer. nat. haben“, entschloss sie sich zu einer zweiten Dissertation mit dem Thema „Evolution der Vitaceen“ zur Herkunft, Entwicklung und Verbreitung der Rebengewächse. Ihre Forschungsarbeit schloss sie zwar ab, doch da Scheu im November 1949 verstarb, konnte R. die mündliche Promotionsprüfung nicht ablegen. Stattdessen bildete sie sich in Weinsberg im Fach Weinchemie fort, veröffentlichte parallel die wichtigsten Ergebnisse ihrer zweiten Dissertation und übernahm 1951 die Leitung des weinchemischen Labors der Remstalkellerei in Beutelsbach. 1953 heiratete sie den Zahnarzt Dr. Paul Riede, 1954 kam ihre erste Tochter, Eva, zur Welt.

1964 trat R. in die CDU ein und wurde stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Waiblingen. 1968 wurde sie in den Gemeinderat, 1971 in den Kreistag gewählt. Seit 1968 war sie Vorsitzende der CDU-Bezirksfrauenvereinigung Nordwürttemberg sowie Mitglied im Landes- und Bundesvorstand der CDU-Frauenvereinigung. Von 1972 bis 1976 und 1977 bis 1980 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Parlamentarierin engagierte sich R. im Petitionsausschuss, kümmerte sich unaufhörlich um die Sorgen und Nöte der Bürger, was ihr den Spitznamen „Notrufsäule der Nation“ einbrachte. Zu ihren Schwerpunkten gehörte die Familien- und Frauenpolitik, R. kämpfte für mehr Wertschätzung der Arbeit der Hausfrau, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für längere Ladenöffnungszeiten. 

Der Wein prägte auch ihre politische Tätigkeit: Sie war Weinsachverständige im Ausschuss für Landwirtschaft und Forsten. Für die Weinkultur setzte sie sich dabei auf vielfältige Weise ein, im Großen wie im Kleinen. R. war an der Weingesetzgebung beteiligt, engagierte sich für den Winzerstand, machte sich für die Verbesserung der Weinqualität stark oder regte Sonderbriefmarken zum Thema Weinbau an. Sie förderte das Ansehen des Württemberger Weins, wehrte alle Versuche ab, das schwäbische Viertele aus der Schankgefäßverordnung zu streichen und organisierte als treffsichere Verkosterin unzählige Weinproben, insbesondere bei der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG). 

1972 wurde R. als erste Frau in die Qualitätsweinprüfungskommission berufen, der sie 20 Jahre lang angehörte. R. war zudem in Radio- und Fernsehsendungen gefragt, wo sie Rede und Antwort zum Wein stand.

R. saß darüber hinaus im Ausschuss der Landesstiftung „Hilfe für Familien in Not“ und der Bundesstiftung „Hilfe für Mutter und Kind“. In ihrem Heimatort gründete sie den katholischen Frauenbund und das Hauspflegewerk und war Mitglied im katholischen Kirchengemeinderat.

 

Ehrungen:

1980 Goldene Ehrennadel des Württembergischen Weinbauverbands

1982 Bundesverdienstkreuz am Bande

1983 Bundesverdienstkreuz Erster Klasse

1989 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg

2004 Ehrenmedaille der Stadt Fellbach

2004 Die Remstalkellerei widmete R. für ihre Verdienste um die Weinwirtschaft ein Holzfass mit ihrem Portrait

 

Veröffentlichungen:

  • Das Weinbaugebiet östlich des unteren Neckars zwischen Marbach und Gundelsheim, phil. Diss. Universität Tübingen 1947.
  • Klenk, Ernst; Nagy, Josef; Riede, Paula: Künstliche Beregnung von Rebkulturen (Schriftenreihe der Württ. Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg 1), Ludwigsburg 1948.
  • Die geschichtliche Entwicklung des Weinbaus am unteren Neckar. In: Der Weinbau. Wissenschaftliche Beihefte 2, Mainz 1948, S. 40 – 51.
  • Das schwäbische Weinberghäuschen. Eine Besonderheit unserer Landschaft. In: Heilbronner Stimme 18. September 1948.
  • Untersuchungen zur direkten Bekämpfung der Reblaus Phylloxera. In: Das Weinblatt. Allgemeine Deutsche Weinfachzeitung Nr. 12, 19. März 1949, S. 212/213.
  • Heimat und Verbreitung der Vitaceen. In: Das Weinblatt. Allgemeine Deutsche Weinfachzeitung Nr. 28, 9. Juli 1949, S. 525.
  • Das Heilbronner Weingärtnerhaus. In: Heilbronner Stimme 11. August 1949.
  • Die Entwicklung des württembergischen Weinbaus und sein jetziger Stand. In: Schwäbische Heimat 2/1951, S. 175 – 183.
  • Seit wann trinkt man am Neckar Wein? In: Die Natur 75 (1967), S. 150 – 152.
  • Weinprobe in Fellbach. Ein Weinbuch mit Zeichnungen von Asta Ruth, Kunstverlag Daco Günter Bläse, Stuttgart 1992.

 

Quellen:

  • Auskünfte der Familie Riede, insb. Dr. Matthias Riede, Oeffingen.
  • Weitbrecht, Susanne: Interview mit Dr. Paula Riede. In: 100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen 1904 bis 2004. Historischer Überblick, Zeitzeuginnenberichte und Zeitdokumente, hg. vom Gleichstellungsbüro der Universität Tübingen, Tübingen 2007, S. 158 – 184.
  • Katz, Gabriele: Frau und Beruf: die Entwicklung weiblicher Erwerbsarbeit in Fellbach, Schmiden und Oeffingen in den Jahren 1900 bis 1955, hg. von der Gleichstellungsstelle der Stadt Fellbach, Filderstadt 2006, S. 112/113.
  • Ehrenmedaille für Weinexpertin und „Notrufsäule der Nation“, Fellbacher Stadtanzeiger, 5. Februar 2004.
  • Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, hg. vom Landtag Baden-Württemberg und der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1992, S. 211/212.
  • Plenarprotokolle des Bundestags im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP) unter https://dip.bundestag.de/ (abgerufen am 9. Oktober 2024).

 

Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung der Familie Riede

Christine Krämer, Stuttgart, Oktober 2024