Neue internationale Studie zur Domestizierung und Evolution der Weinrebe

Vier Jahre lang arbeiteten Molekularbiologen aus aller Welt an der neuen Genstudie. Beteiligt waren 89 Molekularbiologen von 23 Instituten aus 16 Ländern. In der breit angelegten Studie wurden die Genome von 3.525 Rebtypen sequenziert, 2503 Exemplare von Vitis vinifera und 1022 von Vitis sylvestris, der wilden Weinrebe. Damit deckte sie sämtliche Wildrebenvorkommen und die wichtigsten Anbaugebiete der kultivierten Weinreben weltweit ab. Es ist die größte je durchgeführte Untersuchung von Genomen der Weinrebe und das bislang genaueste Modell zur Domestizierung und zur Evolution der Weinrebe.  Aus Deutschland beteiligten sich das Institut für Rebenzüchtung des Julius-Kühn-Instituts am Geilweilerhof (JKI) und das Labor Nick für Molekulare Zellbiologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Mit Dr. Franco Röckel vom JKI konnten wir einen der Mitautoren der Studie dafür gewinnen, Ihnen die Ergebnisse der Studie allgemeinverständlich näher zu bringen:

Wann und wo entstanden unsere heutigen Kulturreben?

Ein Beitrag von Franco Röckel, Oliver Trapp, Reinhard Töpfer und Erika Maul
Julius Kühn-Institut (JKI), Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof, 76833 Siebeldingen
 

Anhand einer Vielzahl an archäologischen Funden in Europa und Asien weiß man, dass die Weinrebe zu den ältesten Kulturpflanzen zählt. Allgemein ging man bisher davon aus, dass die Domestikation der Weinrebe nach der letzten Eiszeit in der Großregion Transkaukasien (Landbrücke zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer; umfasst die Länder Armenien, Georgien und Aserbaidschan) stattfand und sich die Kulturreben von dort aus in Richtung Süden, Westen und Osten ausbreiteten. Schon früh war Wein ein wichtiges Handels- und Kulturgut und beförderte den Austausch zwischen Völkern und Stämmen. Die menschlichen Migrationsbewegungen, bedingt durch z.B. Kriege oder Klimaveränderungen, beschleunigten dabei die Ausbreitung zusätzlich. Der Ursprung, wann und vor allem wo Wildreben zuerst domestiziert wurden, ließ sich bislang aber nur vermuten. Daraus entstand die Idee, unter der Führung von Professor Dr. Peter Nick (Karlsruher Institut für Technologie (KIT)) und Dr. Wei Chen (Yunnan Agricultural University, China), eine Vielzahl an Rebsorten und Wildreben entlang der ehemaligen Seidenstraße mit den neuesten molekularbiologischen Methoden zu untersuchen. Genauer gesagt, es konnte ein Netzwerk mit Forschern aus 16 Ländern aufgebaut werden, das zur Genomsequenzierung von 3525 Rebakzessionen führte, darunter ca. 1000 Pflanzen der europäischen Wildrebe Vitis sylvestris. Aus Deutschland steuerte neben dem KIT auch das Julius Kühn-Institut (JKI), Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof, das mit über 4500 Rebakzessionen die größte nationale Sammlung und auch eine der größten weltweit beherbergt, Proben zur Sequenzierung bei. Der Fokus lag hier auf zum Teil einzigartigen Genmaterial aus den Ländern Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan, das schon zur Zeit des zweiten Weltkrieges an den Geilweilerhof gelangte und dort seitdem in der lebenden Genbank erhalten wird.

Was ist neu an den erzielten Ergebnissen?

Grundlegend neu ist, dass die Ergebnisse darauf hindeuten, dass die Domestikation der Weinrebe nicht an einem Ort einmal, sondern zweimal an unterschiedlichen Orten getrennt für Tafel- und Keltertrauben stattfand. Die Modellrechnungen, basierend auf den genetischen Daten, haben dabei ergeben, dass die Domestikation der überwiegenden Keltertrauben in Transkaukasien und die Domestikation der klassischen Tafeltrauben im Nahen Osten vor ca. 11.000 Jahren stattfand. Gerade der geschätzte Zeitpunkt ist von besonderer Bedeutung, da er in die Zeit der Domestikation von Getreide fällt und man allgemein davon ausging, dass die Weinrebe sowie weitere Früchte erst später domestiziert wurden. Verfestigt wurde diese Annahme bisher vor allem durch archäologische Funde.  

Wie wurden die Ergebnisse ermittelt?

Die Grundlage der Ergebnisse ist die genetische Nähe der Kulturreben zu verschiedenen Wildartuntergruppen. Durch die Untersuchung einer Vielzahl an Genotypen konnte man erkennen, dass sich die europäische Wildrebe Vitis sylvestris wahrscheinlich in vier Untergruppen aufteilen lässt, basierend auf der geographischen Herkunft und untermauert durch die genetischen Daten. Die Großregionen sind dabei Transkaukasien, Naher Osten, Mitteleuropa und Westeuropa/Iberische Halbinsel. Der Vergleich zu den Kulturreben zeigte jetzt aber, dass die klassischen kaukasisch-stämmigen Kelterreben den Wildreben aus Transkaukasien nahestehen (was nicht verwundert), die klassischen Tafeltrauben jedoch eher den Wildreben aus dem Nahen Osten. Anhand verschiedener statistischer Analysen lässt sich deshalb daraus schließen, dass es sehr wahrscheinlich zwei unabhängige Domestikationsevents gegeben haben muss.

Wie genau sind die zeitlichen Angaben beider Domestikationsereignisse?       

Wie bei jeder Modellrechnung gibt es auch hier ein paar Unsicherheitsfaktoren. Je nach der Wahl der Anfangsparameter, also den Grundvoraussetzungen einer Modellrechnung, können sich die erzielten Ergebnisse doch deutlich unterschieden. Die beiden wichtigsten Faktoren bei dieser Berechnung sind in diesem Fall die Generationszeit der Weinrebe sowie die generelle Mutationsrate des Rebengenoms. Anhand dieser beider Faktoren und dem Vergleich der Genome von heutigen Kulturreben und Wildreben kann man so eine ungefähre Trennung der Populationen abschätzen. Jedoch sind diese Faktoren sehr sensibel. Gerade die Generationszeit ist schwer zu bestimmen. Als Wert für die finale Berechnung wurden drei Jahre gewählt. Dieser Wert kann jedoch deutlich schwanken und zudem sei hier angemerkt, dass nach dem Übergang zur Kulturrebe, bedingt durch die vegetative Vermehrung, es nur noch wenige Generationen innerhalb unserer Sortenlandschaft gegeben hat. Wie auch in der Publikation gezeigt, kann sich so, rein durch die Annahme einer längeren oder kürzeren Generationszeit, der geschätzte Zeitpunkt des Domestikationsevents um tausende Jahre verschieben.    

Fazit

Diese Studie stellt einen gewaltigen Fortschritt in unserem Verständnis der Evolutions- und Domestikationsgeschichte der Weinrebe dar. So belegen die Daten nicht nur die Rolle der Weinrebe in der frühen Entstehung der Landwirtschaft in ganz Eurasien im Neolithikum, sondern es konnten z.B. auch spezifische Genombereiche identifiziert werden, die sich durch menschliche Selektion für bestimmte Merkmale bis heute in der Rebe durchsetzen. Zudem zeigen die Daten die schrittweise Diversifizierung der Weinreben entlang menschlicher Migrationsrouten durch Einkreuzung lokaler, standortangepassten Wildreben (sekundäre Domestikation).                 
Durch die umfangreiche Probensammlung und die hochwertige Datenanalyse kann die durchgeführte Studie als die bisher aufschlussreichste dieser Art angesehen werden. Die noch vorhandenen statistischen Unsicherheiten können aber sicherlich in der Zukunft mit Hilfe neuer Methoden präzisiert werden.   

Originalpublikation:

Yang Dong et al.: Dual domestications and origin of traits in grapevine evolution, Science 2023, VOL 379 ISSUE 6635, DOI: 10.1126/science.add8655 
https://www.science.org/doi/10.1126/science.add8655

Abbildung:

DNA-Helix: Pixabay; Querschnitt Traube: Pixabay; Collage: C. Krämer.

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