Interview mit Prof. Dr. Eckhard Jedicke

Auf der Herbsttagung der Gesellschaft für Geschichte des Weines (18. bis 20. Oktober 2024) wird es unter anderem um die Verbreitung der Weinrebe und deren Bedeutung für die durch den Weinbau geprägten Kulturlandschaft gehen. Einer der Referenten wird Prof. Dr. Eckhard Jedicke vom Fachgebiet Landschaftsentwicklung der Hochschule Geisenheim sein. Er wird zum Thema: Ökosystemleistungen in Weinbau-Landschaften – von Mosaiklandschaften über Monokulturen zu multifunktionalen Zukunftslandschaften sprechen. Ein Thema, das neugierig macht. Anlass für uns, Professor Jedicke zu interviewen, um mehr über seine Forschung und Lehrtätigkeiten zu erfahren. 

Rudolf Nickenig: Sie wurden 2016 auf die Professur für Landschaftsentwicklung an der Hochschule Geisenheim berufen. Wenn ich etwas salopp fragen darf: Was hat Sie bewogen, sich auf diese Ausschreibung zu bewerben, und was hat sie qualifiziert, diese Stelle anzutreten? Anders gefragt: Wie sah kurz umrissen Ihr beruflicher Werdegang aus?

Eckhard Jedicke: Seit einem Alter von zwölf Jahren befasse ich mich mit der Artengruppe der Vögel und bin über das Bestreben, selten werdende Arten zu erhalten, zum Naturschutz gekommen. Dieser findet in Kulturlandschaften statt. Ich habe mit diesen Interessen Geografie, Botanik und Bodenkunde studiert, zum Biotopverbund promoviert und mich zu Vogelgemeinschaften in forstlich unterschiedlich genutzten Wäldern habilitiert. Knapp 25 Jahre lang habe ich freiberuflich Projekte entwickelt und realisiert, in denen wir Naturschutzziele mit Zielen der Landnutzenden zusammengebracht haben. Das heißt, die Beschäftigung mit der Landschaft gemeinsam mit den Menschen, die sie durch ihre Nutzung prägen, zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.

Rudolf Nickenig: Herr Jedicke, wir alle in der Weinbranche verbinden Geisenheim mit Weinbautechnik, Kellerwirtschaft, Mikrobiologie bis zum Weinmarketing, übersehen dabei oft, dass in Geisenheim auch weitere Forschung und Lehre betrieben wird. Stellen Sie doch bitte unseren Lesern kurz vor, womit sich ihr Fachgebiet beschäftigt?

Eckhard Jedicke: Meine Arbeitsgruppe entwickelt beispielhafte Lösungen für eine nachhaltige Nutzung von Kulturlandschaften – mit Schwerpunkten in den Bereichen Wein, Wald und Weide. Dabei ist das ko-kreative Entwickeln von Zielen und Maßnahmen gemeinsam mit den Menschen, die in diesen Landschaften leben und arbeiten, ganz zentral. Die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen bieten uns dabei eine gute Leitlinie. Sechs der neun planetaren Grenzen sind mittlerweile überschritten. In Ausschnitten der Kulturlandschaften suchen wir Möglichkeiten, wie wir integrativ die dringend notwendigen Zielsetzungen letztlich für das Überleben der Menschheit unter einen Hut bringen können.

Rudolf Nickenig: Klimawandel, Biodiversität, Biotopverbund, Wasserhaushalt und Gewässerentwicklung, Bodenschutz und Erziehungssysteme, alles hängt irgendwie zusammen. Wo liegen nach ihrer Auffassung die größten Herausforderungen für den Weinbau in unseren Regionen und wo setzen Sie Ihre Hauptaktivitäten an? Ich vermute mal, im Verbund mit anderen Instituten in Geisenheim und anderen Forschungseinrichtungen in und außerhalb Deutschlands?

Eckhard Jedicke: Wir stehen vor multiplen Problemen, aber zwei Herausforderungen sind besonders deutlich: die Folgen des Klimawandels und des massiven Verlusts der Biodiversität. Spätfrostschäden aufgrund einer verfrühten Vegetationsperiode, Dürre und Starkregen mit Bodenerosion sind Beispiele für bereits jetzt sichtbare Merkmale einer Entwicklung, die erst am Anfang steht. Der Weinbau ist gut beraten, sich bereits heute mit möglichen Strategien zur Anpassung an die Folgen zu befassen. Alle Reben künftig bewässern zu wollen, funktioniert nicht, weil das Wasser immer knapper wird. Daher brauchen wir einen optimalen Wasserrückhalt in der Landschaft: Regen, der fällt, soll so gut wie möglich aufgefangen und wie durch einen Schwamm durch die Landschaft zwischengespeichert werden. Solche Maßnahmen können zugleich die biologische Vielfalt fördern. Wir entwickeln diese in Projekten im Rheingau und im Soonwald beiderseits des Rheins exemplarisch. Natürlich arbeiten wir hier mit verschiedenen Forschungsinstitutionen, besonders aber mit den Akteurinnen und Akteuren der Praxis zusammen. Dabei geht es nicht nur um den Weinbau, sondern auch um Forst- und Landwirtschaft ebenso wie die Gewässerentwicklung.

Rudolf Nickenig: Können Sie noch einige Wort zum Thema Lehre und Studium sagen? Wer hört bei Ihnen Vorlesungen?

Eckhard Jedicke: Wir bilden Studierende in der Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung aus, und zwar im Bachelor und Master. Auch hier steht die Bewältigung der Zukunftsfragen im Mittelpunkt, bei mir besonders die Gestaltung einer nachhaltig nutzbaren Kulturlandschaft. In Planungsprojekten üben die Studierenden in realen Planungskontexten die Situation der verschiedenen Schutzgüter zu analysieren, Defizite zu bewerten und Ziele und Maßnahmen abzuleiten. Wir befassen uns dort zum Beispiel mit der Umsetzung des europäischen Schutzgebietssystems Natura 2000, der Klimaanpassung in Landschaften, nachhaltiger Landwirtschaft. In anderen Veranstaltungen geht es um Boden und Wasser, Land- und Forstwirtschaft, Landschaftspflege, ethische Fragen in der Landschaftsplanung und das Schreiben von Projektanträgen. Immer spielt der Erwerb von praxisrelevanten Kompetenzen eine wichtige Rolle. 

Rudolf Nickenig: Sie haben 2017 das Kompetenzzentrum Kulturlandschaft gegründet. Welche Fragen werden dort gebündelt? 

Eckhard Jedicke: Das KULT bietet die Möglichkeit, im Austausch verschiedener Fachdisziplinen aus Wissenschaft und Praxis ohne Hierarchien offen über die Herausforderungen der nachhaltigen Entwicklung von Kulturlandschaften zu diskutieren. Wir arbeiten in vielfältigen Kooperationen auch über Grenzen in den Köpfen hinweg, die uns häufig am Dialog hindern. Beide Seiten, die Forschung und die praktischen Landnutzungen, können sehr viel voneinander lernen – beidseitiger Wissenstransfer ist unser zentrales Ziel. Dazu bieten wir Fachtagungen und Workshops zu aktuellen Themen an, entwickeln Publikationen und schieben umsetzungsnahe Forschungsprojekte an.

Rudolf Nickenig: Kommen wir vom Organisatorischen zum Inhaltlichen: Sie beschäftigen sich auch intensiv mit den Fragen der Landschaftsplanung. Was kann man sich konkret darunter vorstellen?

Eckhard Jedicke: Aufgabe der Landschaftsplanung ist, fußend auf einer Bestandsaufnahme, Vorschläge für die nachhaltige Entwicklung von Natur und Landschaft zu entwickeln. Sie bezieht sich auf die Schutzgüter Boden, Wasser, Klima/Luft, Arten und Biotope – zusammengefasst als Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts –, das Landschaftsbild und die Erholungsfunktionen der Landschaft sowie Kultur- und sonstige Sachgüter. Dazu bestehen verschiedene formelle Instrumente, zunehmend wichtig werden aber informelle, also nicht rechtswirksame Planungsverfahren. Sie vermitteln für die Umsetzungspraxis wichtige Leitlinien. Wichtig ist uns, von einer bisher oft sektoralen Betrachtungsweise zu einer ganzheitlichen Sicht zu kommen, die alle Schutzgüter gleichermaßen berücksichtigt. Ziel sind multifunktionale Landschaften, die gleichzeitig möglichst viele Funktionen für uns Menschen erfüllen – wir sprechen auch von Ökosystemleistungen für die Gesellschaft.

Rudolf Nickenig: Lassen Sie mich Ihr Stichwort Gesellschaft aufgreifen: Bei Landschaftsplanung, insbesondere in Weinbaugebieten, treffen vielfältige ­Interessen zusammen. Kann man sich Ihre Arbeit als eine Art von Moderation vorstellen? Welche denkbaren Kooperationspartner können/müssten vor Ort zusammenwirken? 

Eckhard Jedicke: Das ist in Weinbau-Landschaften nicht anders als in anderen Kulturlandschaften: Aufgabe einer modernen Landschaftsplanung ist es, allen gesellschaftlichen wie individuellen Zielen Gehör zu verschaffen und gemeinsam mit allen Beteiligten eine Vision zu entwickeln. Daraus werden dann ko-kreativ Ziele und Maßnahmen entwickelt, umgesetzt, die Ergebnisse beobachtet und bei Bedarf gegengesteuert. Das ist unser Idealbild zukunftsfähiger Planung, denn nur so können wir den vielfältigen Herausforderungen bestmöglich gerecht werden – ich verweise auf die überschrittenen planetaren Grenzen, deren Einhaltung für das Überleben der Menschheit essenziell sind. Das heißt, es geht um viel mehr als die Frage, ob die Weinbaubetriebe auch im Klimawandel demnächst noch ausreichend Trauben ernten können. Das hat sehr viel mit Moderation zu tun, aber auch mit fachlichem Input.

Rudolf Nickenig: Lassen Sie mich einen weiteren Begriff in unser Gespräch einführen: Es wird viel über Weinkultur gesprochen. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?

Eckhard Jedicke: Kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu fördern, ist wie gesagt, eines der Ziele der Landschaftsplanung. Die Weinkultur prägt teils seit über 1.000 Jahren ganz besondere Kulturlandschaften, beispielsweise durch die Terrassierung, aber auch die Lebensart der Menschen. Die Weinkultur begründet dort eine Wertschöpfung, die besonders durch den Weintourismus weit über den Weinbau selbst hinausgeht. Auch dazu haben wir in meiner Arbeitsgruppe geforscht. Wir benötigen, um diese einzigartige kulturelle Vielfalt zu erhalten, neue Konzepte für die Wertschöpfung: Winzerinnen und Winzer müssen ihre Arbeit bisher weitgehend durch das Produkt Wein erwirtschaften. Die Leistungen für die Gesellschaft wie das Landschaftsbild und Biodiversitätsfunktionen honoriert ihnen aber niemand. Das muss sich ändern: Die vielfältigen Ökosystemleistungen ließen sich vielfach noch steigern, wenn die Gesellschaft als Nutznießer sie auch vollumfänglich finanzierte.

Rudolf Nickenig: Ist das mediale Schlagwort der Monokultur für unseren heutigen Weinbau in unseren Weinbaugebieten eine zutreffende Zustandsbeschreibung? Welche Elemente müssen Ihrer Meinung nach in die Kulturlandschaft eingebracht werden? Welche Anpassungsnotwendigkeiten und welche Anpassungsmöglichkeiten bestehen? 

Eckhard Jedicke: Weinbau ist – dem Wortsinn nach – eine Monokultur, denn er besteht nur aus einer einzigen Kulturpflanzenart. Dies aber als Kampfbegriff zu nutzen, schadet mehr als es nützt. Die ökologischen Wissenschaften haben vielfach bewiesen, das ein- oder wenigartige Systeme sehr anfällig für Störungen sind: Je artenreicher ein Ökosystem ist, desto widerstandsfähiger verhält es sich gegenüber Umwelteinflüssen wie Trockenheit, Starkregen, Schädlingskalamitäten oder Krankheiten – fällt eine Pflanzenart aus, füllen genügend andere diese Lücke. Auf Weinbau-Landschaften übertragen bedeutet das: Wir sollten die ausgeräumten Landschaften sukzessive wieder anreichern mit artenreichen, gebietsheimischen Gassenbegrünungen, Saum- und Heckenbiotopen, Einzelbäumen, Obstwiesen usw. Und auch neue (zum Teil auch historisch schon bestandene) Anbauformen wie Mischkulturen und Vitiforstsysteme erproben. Das Ziel ist dabei, resiliente Landschaften zu entwickeln, deren Funktionen einschließlich der des Weinbaus auch im Klimawandel weiterhin bestehen bzw. sogar gefördert werden.

Rudolf Nickenig: Mein Eindruck ist, dass sich in diesem Bereich schon sehr viel getan hat, wir scheinen auf einem guten Weg zu sein. Aber um noch mehr Aufmerksamkeit auf die Notwendigkeit der Biodiversität zu lenken, greifen wir dieses Thema auf unserer Herbsttagung auf. Ich möchte nicht die Kernpunkte Ihres Würzburger Vortrages vorwegnehmen. Aber können Sie zumindest mal antippen, was die potentiellen Teilnehmer an der Herbsttagung unter dem Begriff multifunktionale Zukunftslandschaft zu erwarten haben?

Eckhard Jedicke: Genau das habe ich mit dem letzten Satz definiert: eine Landschaft, die möglichst viele Ökosystemleistungen für die Gesellschaft erbringt. Dabei sind die wirtschaftlichen Ziele der Landnutzenden, die diese Landschaft durch ihre Arbeit maßgeblich gestalten, einer von mehreren Maßstäben. Denn nur wenn sich die geänderte Art der Land­nutzung auch rechnet, also im Idealfall mehr und vor allem sichereres Einkommen als bisher bietet, findet sie Akzeptanz. Dazu müsste sich Vieles ändern – in unser aller Köpfen, in der Förderpolitik, im Zuschnitt und in der Arbeitsweise der Behörden.

Rudolf Nickenig: Wenn sich Teilnehmer von unserer Herbsttagung schon im Vorfeld ein bisschen vorbereiten wollen. Haben Sie einen Lese- oder Sehtipp?

Eckhard Jedicke: Vielleicht empfehle ich unser Buch „Insektensterben in Mitteleuropa – Ursachen und Gegenmaßnahmen“ (Thomas Fartmann, Eckhard ­Jedicke, Merle Streitberger & Gregor Stuhldreher, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 2021). Denn oft wird mit dem Finger nur auf die Landwirtschaft als Verursacher gezeigt. Sie hat einen Anteil, aber das Insektensterben ist ein von vielen Faktoren ausgelöstes Problem und ein Indikator für den Zustand unserer Kulturlandschaft insgesamt. Wir belegen das anhand einer umfangreichen Literaturanalyse und zeigen zugleich vielfältige Möglichkeiten auf, dem Verlust der Insekten und der Biodiversität insgesamt gegenzusteuern. Das hat viel mit einem geänderten Umgang mit der Kulturlandschaft zu tun.

Rudolf Nickenig: Lieber Herr Jedicke, ich danke für das Gespräch und freue mich auf Ihren Vortrag in Würzburg!

 

Bildquellen (v.o.n.u.):

  • Winfried Schönbach
  • Eckhard Jedicke
  • Verlag Eugen Ulmer
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