Interview mit Julia Baltes, Winzerin an der Ahr

Unsere Winzerinnen und Winzer an der Ahr nachhaltig unterstützen! Foto: Andreas Durst

Vier Monate sind es her, dass eine Flutkatastrophe unfassbares Leid über die Menschen im Weinbaugebiet Ahr gebracht hat. Die erste Hilfsbereitschaft vieler Menschen in Deutschland und darüber hinaus war groß; jetzt wächst, neben vielen ungelösten Problemen beim Wiederaufbau, auch die Sorge der Menschen im Ahrtal, allmählich aus den Schlagzeilen und damit aus dem Sinn der Menschen zu verschwinden. Vor besonders großen Herausforderungen stehen die Winzerinnen und Winzer, aber auch die Gastronomie, Hotellerie, Kur- und Tourismusbetriebe im Ahrtal. Rudolf Nickenig sprach mit Julia Baltes, die mit ihrem Ehemann einen der bekanntesten Weinbaubetriebe an der Ahr leitet. Wie das Schicksal manchmal spielt: Julia, geb. Bertram, Tochter und die 5. Generation einer Winzerfamilie aus Dernau, studierte erfolgreich Weinbau und Önologie in Geisenheim, wurde 2012 Deutsche Weinkönigin, verliebte sich in Benedikt Baltes, 2018 folgte die Heirat und ein Sohn. Ehemann Benedikt stammt ebenfalls von der Ahr, wegen damals fehlender Perspektiven an der Ahr erwarb er 2010 das ehemalige Stadtweingut Klingenberg in Franken. Einige Jahre arbeiteten Julia und Benedikt sowohl an der Ahr als auch in Franken. 2019 setzten sie völlig auf den Aufbau eines Weingutes Bertram-Baltes an der Ahr und verkauften das Weingut in Klingenberg. 2021 kam die Flut.   

RN: Die Flutkatastrophe liegt mehr als vier Monate hinter uns. Die 2021er Ernte ist eingebracht. Wie ordnen Sie diesen Jahrgang ein?

JB: Die 2021er Weinernte wird an der Ahr in die Geschichte eingehen. Wir sind hier alle zufrieden und ein bisschen stolz, dass wir den Herbst trotz aller Schwierigkeiten gemeistert haben. Vor wenigen Wochen standen fast alle Betriebe vor dem Nichts und es war überhaupt nicht absehbar, ob wir die Trauben ernten und verarbeiten werden können. Bei vielen Weinbaubetrieben waren die Betriebsstätten weggeschwemmt. Wenn sie noch da waren, mussten teilweise weitere Gebäude wegen Einsturzgefahr abgerissen werden. So war es jedenfalls bei uns. Viele Betriebe mussten Provisorien suchen. Auch die Arbeitsgeräte für den Weinberg waren verloren, nicht nur Wein in Fässern und Flaschen war mitgerissen worden, auch viele Kellergeräte weg oder beschädigt.

Hinzu kam, dass die Witterung des Jahres, zusätzlich zur Flut, uns vor größte Herausforderungen gestellt hatte: der viele Regen begünstigte Rebkrankheiten, insbesondere Peronospora, es gab eine große Fäulnisgefahr. Ein äußerst schwieriges Jahr vor allem auch für die ökologisch wirtschaftenden Betriebe, zu denen wir ja auch zählen. Vieles hat dazu beigetragen, dass die Erntemenge klein ausfiel, aber immerhin, wir konnten etwas ernten und wieder eine Basis schaffen. Und als kleine Wiedergutmachung des Himmels gab es hinten heraus noch eine prima Qualität. Allerdings war dafür eine große Selektionsarbeit nötig, die wir gerne erledigt haben.  

RN: Immerhin, ein Lichtblick nach der Katastrophe. Aber ich möchte nochmals zurückkommen auf die Zeit zwischen dem 14./15. Juli, dem Tag der Flutkatastrophe, und der Erntezeit. Was waren die größten Herausforderungen, mit denen Sie fertig werden mussten?

JB: Nach dem 14. Juli war für uns alle im Ahrtal nichts mehr so, wie es vorher war. Unser aller Leben hat sich mit einem Schlag tiefgreifend verändert. Wir standen plötzlich bei alltäglichen Dingen vor den größten Problemen: kein Wasser, kein Strom, keine Unterkunft, kein zu Hause mehr. Stattdessen Notstromaggregate, verunreinigtes Wasser, das wir mit Filtern reinigen und entchloren mussten, um wieder Trinkwasser zu haben. Ich will das nicht alles wiederholen, darüber ist viel berichtet worden. Aber diese elementaren Dinge zu meistern, war die erste Herausforderung. Gleichzeitig mussten wir uns darum kümmern, unseren Betrieb vor der Ernte irgendwie wieder zum Laufen zu bringen, um überhaupt eine Chance uns zu erarbeiten, die Lese einbringen und verarbeiten zu können. Geräte für den Außenbetrieb und für den Keller mussten beschafft werden. Dank vieler Hilfen von Winzerkollegen und wildfremden Helfern ist uns auch dies einigermaßen gelungen. Und damit verbunden war die dritte Herausforderung: die sensationelle Hilfsbereitschaft musste natürlich auch in irgendeiner Weise von uns organisiert werden. Ohne die vielen freiwilligen Helfer hätten wir es nie geschafft. Unsere Winzerkollegen leiteten die branchenfremden Helfer an, Arbeiten auszuführen. Diese Hilfsbereitschaft hätte ich mir vorher nie vorstellen können.   

RN: Sie sprachen es schon an, als wäre die Flutkatastrophe nicht schon mehr als genug gewesen: Dazu gab es noch die anhaltende ungünstige Witterung – und oben drauf noch die Folgen der Corona-Pandemie. Wie sieht es mit der Absatzsituation an der Ahr aus?

JB: Diese Frage ist für mich nicht einfach zu beantworten. Auf der einen Seite sehe ich die große Hilfsbereitschaft, auch das öffentliche Interesse an der Ahr und der Lage der Weinbaubetriebe. Deshalb gab es auch eine große Nachfrage nach Flutweinen. Auch hier gab es eine sensationelle Unterstützung von vielen Seiten aus der Branche und von außerhalb. Andererseits sind Absatzstrukturen im Tal, insbesondere die Gastronomie, die gesamte Tourismusbranche, im Mark getroffen. Es wird Jahre dauern, bis eine gewisse Normalität sich wieder einstellen wird. Wie sehr die Weinbaubetriebe unter der Zerstörung der Absatzstrukturen leiden, hängt natürlich davon ab, ob sie auf den Verkauf vor Ort fokussiert oder breiter aufgestellt waren, sprich – so wie wir - einen nationalen Vertrieb oder vielleicht sogar ein Exportgeschäft sich aufgebaut hatten. Kreative Ideen sind nötig, um den Weinabsatz in Kombination mit Gastronomie und Tourismus im Ahrtal wieder anzukurbeln, um die nächsten Jahre, die die schwierigsten sein werden, gut zu überstehen.   

RN: Sie haben es bereits angesprochen: Die Hilfsbereitschaft und die Solidarität der Weinfreunde mit den Winzerinnen und den Winzern an der Ahr waren bisher groß. Was können die Weinfreunde, zum Beispiel die Mitglieder der Gesellschaft für Geschichte des Weines tun, um die Winzerschaft weiterhin zu unterstützen?

JB: Wir alle wissen, dass wir in einer schnelllebigen Medienzeit leben. Das Interesse der Öffentlichkeit wird nicht dauerhaft auf der Ahr fokussiert bleiben, fürchten nicht wenige Bewohner des Ahrtales. Deshalb ist es wichtig, wenn unter anderem Weinfreunde dafür sorgen, dass wir nicht in Vergessenheit geraten, sondern dass sie uns die Treue halten. Natürlich ist besonders wichtig für die Weinbaubetriebe, dass ihre Weine gekauft werden – aber auch die emotionale und mentale Unterstützung ist sehr wichtig. Was die finanziellen Hilfen angeht, wage ich im Augenblick keine konkreten Aussagen zu machen. Da haben sich sehr viele private Organisationen unglaublich engagiert und es sind unfassbar viele Spenden gesammelt worden, Soforthilfen bereits ausgezahlt worden. Dafür kann ich mich im Namen aller Betroffenen nur bedanken. Auch der Staat hat große Beträge in Aussicht gestellt, aber wie dies in Deutschland mit der Bürokratie so ist, wir können im Augenblick noch nicht sagen, was überhaupt bei uns ankommt. Die Mitglieder der Gesellschaft für Geschichte des Weines können mit ihren Netzwerken sicherlich dazu beitragen, dass auch in den kommenden Jahren freiwillige Helfer kommen, denn die werden wir weiter nötig haben. Wir werden weiter helfende Hände brauchen, denn der Aufbau der Infrastruktur wird Jahre dauern. Die Mitglieder der Gesellschaft können selbst Besuche an die Ahr planen oder im Freundeskreis anregen. Ich denke dabei nicht nur an die Winzerbetriebe, sondern auch an die Gastronomen, denen durch den zusammengebrochenen Tourismus die Gäste fehlen. Also, insbesondere im kommenden Jahr und in den Folgejahren an die Ahr kommen, unsere wunderbaren Wein einkaufen und in der Gastronomie lecker essen gehen!

RN: Halten wir also für die Mitglieder der Gesellschaft für Geschichte des Weins fest: eine Woche ohne einen Burgunder von der Ahr - eine verlorene Woche war! Und für das kommende Jahr - mindestens eine Fahrt zur Ahr! Gerne natürlich auch mehr! Ich danke für das Gespräch, wünsche Ihnen und Ihren Berufskolleginnen und Kollegen viel Kraft und Optimismus und vor allem viele Weinfreunde, die nachhaltig und treu zu Ihnen stehen!

 

Abbildungsnachweis: Mit freundlicher Genehmigung von Weingut Bertram-Baltes, Dernau. Fotograf: Andreas Durst