Interview mit Prof. Dr. Hans Reinhard Seeliger
Eigentlich brauchen wir meinen Gesprächspartner unseren Lesern nicht vorzustellen. Denn er ist ein Urgestein der Gesellschaft für Geschichte des Weines und allen Mitgliedern und nicht nur ihnen bestens bekannt. Seit 1980 ist er Mitglied der Gesellschaft, von 1990 bis 1995 und wieder ab 2001 gehörte er dem Wissenschaftlichen Beirat an. Dazwischen pausierte er wegen seiner vielen Aufgaben als junger Professor an seiner Universität. Ab 2004 war er dann Vizepräsident und von 2011 bis 2021 Präsident. Um den Übergang im Präsidentenamt auf seinen Nachfolger Prof. Dr. Andreas Otto Weber zu begleiten, blieb er für eine weitere Wahlperiode im Vorstand, aber bei der Mitgliederversammlung 2024 will er seine Mitarbeit in der Vereinsführung beenden. Anlass genug, um nach seinen Erfahrungen, Eindrücken und Vorhaben zu fragen.
Sein Weg zum Wein führte, wie er erzählt, über den Weinkeller seines Vaters und ein Studium der Philosophie, Theologie, Kunstgeschichte und Psychologie, zunächst an der ehemaligen Hochschule der Benediktiner in Augsburg, dann der Universität Münster nach Mainz. Dort wurde er nach seiner Promotion 1983 Hochschulassistent an der Universität und kam auch näher mit der Weinwelt und der Weinpublizistik in Kontakt (Mitarbeit an der Zeitschrift „Alles über Wein“, ehemals Woschek-Verlag). 1986 übernahm er eine Professur für Historische Theologie an der Universität Siegen und 2001 einen Lehrstuhl für Alte Kirchengeschichte, Patrologie und Christliche Archäologie an der Universität Tübingen, wo er 2016 emeritiert wurde.
Rudolf Nickenig: Sie wollen mehr Zeit für Ihre historischen Forschungsarbeiten haben! Ist Wein dabei ein Thema oder nur noch Belohnung nach der Arbeit? Da Sie ein begnadeter Hobbykoch sind, dürfte der Wein zudem als Essensbegleiter eine besondere Rolle spielen?
Hans Reinhard Seeliger: Da vermuten Sie richtig: Wein ist mehr eine Belohnung. Ich beschäftige mich mit Themen, zu denen mein Adoptivsohn Christoph meint, die seien ziemlich „nerdig“. Ich kann das hier nur andeuten: Es geht um den Einfluss der antiken Rhetorik auf die Hagiographie, also die Literatur, die von christlichen Märtyrern und Heiligen handelt. Da spielen viele rhetorische Elemente eine Rolle. Sogar eine entscheidende nach meiner Meinung. Ich kann dazu – glaube ich jedenfalls – etwas sagen, was die KI nicht hinbekommen kann. Noch nicht? Na, ich weiß nicht. Ich musste mich da richtig einarbeiten, eine ganze Menge Aristoteles und Cicero lesen und andere antike Autoren, die sich zur Rhetorik geäußert haben. Und ja: ich freue mich dann abends etwas Gutes zu kochen und da gibt’s dann auch schon in der Küche ein Glas Wein, Brot, Oliven und Öl zum Dippen aus Umbrien, wo ich immer wieder den Spätsommer verbringe. Wenn ich Gäste habe, die mir beim Kochen helfen, gibt’s aber auch schon mal ein Glas Champagner dazu. Sorry, deutsche Sektmanufakturen! (lacht)
Rudolf Nickenig: Champagner? Da sind Sie als Präsident unserer Gesellschaft entlastet! Denn da steckt vermutlich pures wissenschaftliches Interesse dahinter. Schließlich hat unser Gründungspräsident mehrere Champagnerschriften verfasst. Apropos! Sie haben sich in den letzten Wochen – neben Ihren eigenen Forschungsarbeiten – intensiv mit der Frage der Digitalisierung früherer Schriften der Gesellschaft beschäftigt, sie alle nochmals gesichtet, vielleicht sogar begutachtet, ob sie digitalisiert werden sollten. Welche Eindrücke gewannen Sie? Unterlag die wissenschaftliche Arbeit der Gesellschaft im Zeitraum 1959 bis heute auch dem Zeitgeist?
Hans Reinhard Seeliger: Natürlich, das kann anders ja gar nicht sein. Das fing mit ganz schmalen Schriften von acht bis fünfzehn Seiten an, auf denen allerdings große Themen abgehandelt wurden wie „Die Geschichte des württembergischen Weinbaus“ oder „Die Geschichte des Weinbaus an der Ahr“. Man muss aber sehen, dass es bis weit in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts nur wenige Weinbücher gab und eigentlich kaum weinhistorische Veröffentlichungen. Die „richtige“ geschichtswissenschaftliche Arbeit begann so ab 1970 mit den Arbeiten des früheren Vizepräsidenten Josef Staab zu Einzelfragen des Rheingauer Weinbaus. Oder mit einer Studie des späteren Präsidenten Fritz Schumann zu Johann Philipp Bronner. Das ist ein Weinbaufachmann aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Und vor allem den Studien des damaligen Präsidenten Arntz zur Weindestillation und – Sie sprachen es schon an – zur Entstehung des Champagners.
Aber die erste Schrift, die ich nach meinem eigenen Beitritt 1980 mit Faszination gelesen habe, war eine über Ludwig Gall, der das „Gallisieren“ propagierte, also die Zugabe von Zuckerwasser vor der Gärung. Was im frühen 19. Jahrhundert die sauren Moselweine, die eine Absatzkrise hatten, genießbarer machen sollte. Das war ein Einfall mit sozialpolitischem Hintergrund, das sollte den Winzern zu einem besseren Einkommen verhelfen. Wirklich wichtig – aber nicht unbedingt etwas, was Weinqualität förderte. Der sozialpolitische Aspekt der Weingeschichte ist sicher immer etwas zu kurz gekommen in unseren Publikationen. Mit Ausnahme der Schrift von Günter Schruft: „Die soziale Lage der Weinbergarbeiter im Laufe der Jahrhunderte“. Auch ein ganz lieber Kollege! Nach und nach sind die Schriften immer professioneller geworden. Sie decken schon ein großes Spektrum ab. Aber das Ziel, das man sich früher einmal gesteckt hatte, ist in weite Ferne gerückt. Die „Schriften zur Weingeschichte“ sollten sämtlich mal Vorarbeiten sein zu einer neuen „Geschichte des Weinbaus“, die die beiden Bände von Bassermann-Jordan aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts fortführen sollte. Der Weinjournalist Hugh Johnson hat das zwar mal 1989 mit seiner „Weingeschichte“ versucht. Sicher ein gut informiertes Buch – aber kein neuer „Bassermann-Jordan“. Sowas bekommt heute keiner mehr hin.
Rudolf Nickenig: Ich hoffe, Sie wollen Ihrem Nachfolger nicht seine Träume nehmen! Aber wenn wir schon bei alten Veröffentlichungen sind: Der Vorstand hält es für sinnvoll, die Biographien, die seit 1959 von unterschiedlichen Autoren zusammengetragen wurden, unter der Perspektive „Berücksichtigung der NS-Zeit“ in den Lebensläufen und Tätigkeiten der Personen nochmals genauer anzuschauen. Was sagen Sie dazu?
Hans Reinhard Seeliger: Da muss man ran, auch wenn das alles andere als ein „Wohlfühlthema“ ist. Die Sensibilität für die vielen Kontinuitäten zwischen der NS-Zeit und der frühen Bundesrepublik ist ja immer mehr gewachsen. Der Fokus hat bislang da mehr auf dem politischen Bereich gelegen, weniger auf Personen im Bereich der Wissenschaft, der Verwaltung und der Wirtschaft. Da ist zwar viel historische Forschung in den letzten Jahren geleistet worden, aber doch nicht genug. Besonders im Bereich der Wissenschaft gibt’s da noch manches aufzuarbeiten. Meines Wissens hat bislang nur eine einzige deutsche Hochschule sich um das Thema systematisch gekümmert: die Leibniz-Universität in Hannover: 70 Prozent der Rektoren hatten da zwischen 1945 und 1975 eine einschlägige NS-Vergangenheit, wie man jetzt weiß. Wenn die Gesellschaft für Geschichte des Weines nun genauer bei den „Persönlichkeiten der Weinkultur“ hinschaut, gehört sie gewiss nicht zur Nachhut. Aber es ist die Zeit dazu. Und da kann man auch meine Vorgänger nicht aussparen. Meine Meinung dazu ist: wenn man nun Dinge entdeckt, die lange übersehen oder verschwiegen wurden, sollte das dazu beitragen, Personen differenzierter zu sehen. Aber ich bin vorsichtig mit Urteilen. Mein Großvater war damals Bahnbeamter bei der Reichsbahn. Ich hätte heute viele Fragen an ihn. Aber ich habe ihn als kleiner Junge sehr geliebt und so bleibt er mir im Gedächtnis.
Rudolf Nickenig: Die persönlichen Begegnungen, das Gespräch bei einem Glas Wein – oder zwei Gläsern – gehören ebenso wie die wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Gesellschaft. Die Tagungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sind Ihnen einige Begegnungen und Tagungen in besonderer Erinnerung geblieben?
Hans Reinhard Seeliger: Spontan fallen mir da zwei ein: Eine Tagung in Fulda, also außerhalb eines Weinbaugebietes, aber trotzdem weinaffin: Dem Fürstabt von Fulda gehörte das Schloss Johannisberg im Rheingau und das ist ja ein Markstein der deutschen Weingeschichte durch die Konzentration auf den Rieslinganbau und die Entwicklung der späten Lese – was immer man von der Geschichte um den Spätlesereiter halten mag. Mit Josef Staab, der das großartige Weingut lange und erfolgreich geleitet hatte, habe ich ein Buch über Schloss Johannisberg geschrieben. Er war ein studierter Agrarwissenschaftler, bekam aber für seine weingeschichtlichen Arbeiten von der Universität Mainz einen Ehrendoktor. Ja man kann schon sagen, den hab ich sehr verehrt. Er war mehr als eine Generation älter als ich. Und wir haben uns gut verstanden. Aber ich schweife ab. Entschuldigung!
In Fulda haben wir damals unter der barocken Orangerie den Keller besichtigen können, wo die Johannisberger Spätlesen, natürlich in Fässern, nicht in Flaschen, eingelagert wurden. Und wir haben eine Weinprobe mit Weinen aus den ehemaligen Besitzungen der Fürstabtei gemacht. Die hatte Rebflächen in fast allen deutschen Weinbaugebieten und bis ins Elsass. Die Alltagsweine bezog man allerdings aus Hammelburg am Main. Und als zweite Tagung fällt mir die in Südtirol ein, mit einer Mitgliederversammlung im barocken Salon des Ansitzes Hirschprunn. So heißen die herrschaftlichen Besitztümer da: Ansitz. Und dieser gehört heute zum Weingut Lageder. Man hat uns dort damals im Anschluss eine ganz besondere Weinprobe serviert: nämlich die noch nicht verschnittenen Partien eines Weißburgunders in verschiedenen Gläsern. Da durfte jeder sich seine eigene Cuvée herstellen. Die Tagung hatte noch andere Höhepunkte, aber das würde jetzt zu weit führen.
Sie hatten aber auch nach Begegnungen gefragt. Da will ich Peter Eckes nennen, der seine Likör- und Weinbranntdestille zu einem Fruchtsaft-Imperium umgesteuert hat. Ein selbstbewusst aber doch bescheiden auftretender, gemütlicher Mann, neben dem ich bei einem Essen anlässlich einer Tagung in Oppenheim sitzen durfte. Lageder und Eckes sind bzw. waren Mitglieder. Eckes ist dieses Jahr im April gestorben. Die Gesellschaft sollte aber mehr von solchen unternehmerischen Persönlichkeiten haben. Und wenn ich als ehemaliger Präsident dem künftigen Vorstand einen Rat mitgeben darf: Vernachlässigt neben der wissenschaftlichen Arbeit nicht den geselligen Aspekt. Der war immer wichtig. Da passiert viel.
Rudolf Nickenig: Neben diesem geselligen Aspekt haben Sie stets Wert daraufgelegt, dass die Gesellschaft einige Sammlungen ihr Eigen nennt und dass diese nicht in Vergessenheit geraten. Warum sind Ihnen diese Sammlungen wichtig? Verbirgt sich da hinter gesellschaftlichen Überlegungen eine jugendliche Sammelleidenschaft für Weinbriefmarken oder Weinetiketten?
Hans Reinhard Seeliger: Ich selbst habe nie Briefmarken gesammelt – im Gegensatz zu meinem Vater. Aber schon als Gymnasiast Weinetiketten. Die habe ich auch noch, müsste aber etwas danach suchen. Die hatten zunächst so etwas den Charakter von „Trophäen“, aber nach einer gewissen Zeit der „Ablagerung“ werden sie zu interessanten Dokumenten der Weinwirtschaft, Weingesetzgebung und des Weinkonsums. Ich habe auch mal die Deckel von Käseschachteln gesammelt, hauptsächlich mit dem Motiv von wohlbeleibten Mönchen drauf. Die gab es immer wieder früher auch auf Weinetiketten. Ich habe daraus eine motivgeschichtliche Studie gemacht, die in den Schriften der Gesellschaft veröffentlicht ist: „Wein, Mönch und Etikett“. Geschichte – auch Weingeschichte – fußt nie nur auf schriftlichen Quellen. Weingeschichte vielleicht ganz besonders.
Rudolf Nickenig: Natürlich müssen wir in diesem Zusammenhang auch auf die Weinkartensammlung aus der Gastronomie bei dilibri und auf die Weinbibliographie zu sprechen kommen, eine Fundgrube für alle Weinfreunde, Studierende und, und, und. Sie hatten sich für deren Sicherung sehr eingesetzt!
Hans Reinhard Seeliger: Ja, für die Weinkartensammlung gilt Ähnliches wie für die Weinetiketten. Das waren über 300 Wein- oder Speisekarten. Man kann die seit 2015 alle online anschauen. Ich finde sie faszinierend. Da kann man sehen, welchen Wein es bei Transatlantikflügen an Bord des Zeppelins zu trinken gab. Oder zum Beispiel auf einer Rüdesheimer Weinkarte von 1888 ist zu entdecken, dass damals auch Rheinwein in Bocksbeuteln verkauft wurde. Historisch noch interessanter sind aber die Preise. Erst heute erreichen einige deutsche Weine im Vergleich mit Frankreich wieder das Preisniveau des Kaiserreichs. Mit den „Großen Gewächsen“ hat man das erreicht. Ich bin aber ziemlich skeptisch, ob das Weine von der damaligen Art sind.
Rudolf Nickenig: Haben Sie nicht mal gesagt: Der Vorsitz in der Gesellschaft wäre nach dem Papstamt die schönste Aufgabe, die Sie sich vorstellen können? Oder verwechsle ich da was?
Hans Reinhard Seeliger: Na, ich glaube das war ein – vom mir durchaus geschätzter – SPD-Vorsitzender. Papst hätte ich niemals werden wollen, auch nicht Bischof, nicht einmal Geistlicher (lacht). Eine kurze Zeit wollte ich Benediktiner werden... Lange her! Präsident der Gesellschaft für Geschichte des Weines zu sein, das war eine schöne Aufgabe. Ich gebe dabei gern zu, dass mich das nach dem frühen Tod meiner Frau auf andere Gedanken gebracht und neben meiner Professur in Tübingen auch ausgefüllt hat. Ja, zusammen mit dem Geschäftsführer und Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats war das eine schöne Aufgabe.
Rudolf Nickenig: Wenn Sie an Ihre Präsidentenzeit zurückdenken, was waren die größten Herausforderungen? Was war sozusagen Ihr größter Erfolg?
Hans Reinhard Seeliger: Es gab eigentlich zwei große Herausforderungen. Bei der einen war ich erfolgreich, bei der anderen nicht. Nach dem unvorhergesehenen Tod der Begründerin und Bearbeiterin der Bibliographie zur Geschichte des Weines, Frau Schoene, musste ich dafür sorgen, dass die Arbeit daran fortgesetzt wurde. Der Datenbestand war sehr wertvoll. Und da hatten wir für sie gerade einen Nachfolger gefunden, als dieser dann plötzlich auch starb: an Herzversagen und im Dienst. Absolut tragisch! Es hat dann zwei Anläufe und lange und schwierige Verhandlungen mit dem Landesbibliothekszentrum in Koblenz gegeben, bis gesichert war, dass man die Bibliographie in den dortigen Datenbestand überführt und die Arbeit daran übernimmt. Das Ganze wird weiterhin, auch finanziell, von der Gesellschaft für Geschichte des Weines unterstützt. Was mir aber nicht gelungen ist, ist den Mitgliederschwund der Gesellschaft aufzuhalten. Da geht es uns wie vielen Vereinen heute, auch den Parteien. Immer weniger Leute mögen sich durch Mitgliedschaften binden. Auch Aktionen wie die von mir angeregten „Patenmitgliedschaften“ haben letztlich wenig gebracht. Aber vielleicht kann ich auf der Habenseite noch verbuchen, dass mir gelungen ist, die äußere Gestalt der Schriften der Gesellschaft durch ein frischeres Layout zu modernisieren. Ganz leicht war das auch nicht durchzusetzen. Aber dann waren alle doch ganz zufrieden damit.
Rudolf Nickenig: Kehren wir an den Anfang unseres Gesprächs zurück. Ihre Kochkünste haben sich herumgesprochen, Ihre Weinkennerschaft ist bekannt. Gibt es ein Lieblingsessen mit Begleitung eines bestimmten Weines?
Hans Reinhard Seeliger: Ja, da kann ich sofort etwas sagen (schmunzelt): ein marokkanisches Lammragout, raffiniert gewürzt, unter anderem mit einem Schuss Orangenblütenwasser. Dazu ein Reis mit Rosinen und Pinienkernen, etwas Curry – und ein roter Châteuneuf-du-Pape; es gibt auch weiße – auch nicht schlecht! Über die Entstehung dieser Appellation habe ich übrigens mal eine Schrift verfasst. Das ist neben der von Banyuls die älteste im französischen Weinrecht. Also: die haben einen alten Ruf und sind deshalb auch sehr teuer. Ansonsten bin ich ein großer Käseliebhaber und habe dafür eine ganz ausgezeichnete Lieferantin an meinem Wohnort Düsseldorf. Und zum Käse mache ich gern kleine Weinproben: eher Weißweine, zu vielen passt gut ein trockener Gewürztraminer, am besten badischer oder aus Südtirol. Die aus dem Elsass sind mir immer zu süß dazu. Eigentlich nur bei Ziegenkäse passt Rotwein. Gerade taste ich mich da auch an Orangeweine heran. Aber was auch immer: zu Käse braucht jeder Wein Kraft und Alkohol.
Rudolf Nickenig: Verraten Sie uns, welches Buch Sie in letzter Zeit gelesen haben und ob dazu ein bestimmter Wein aus Ihrem Keller geholt wurde? Wollen Sie unseren Lesern eine vinophile Buchempfehlung (nicht Weinbuch, sondern Buch mit Wein) abgeben?
Hans Reinhard Seeliger: In der letzten Zeit habe ich wenig „schöne“ Literatur gelesen, wie man das früher so nannte. Gerade aber: das schmale spannende Bändchen „Sigmaringen. Eine andere deutsch-französische Geschichte“ von Clemens Klünemann. Da geht es darum, wie die französische Vichy-Regierung im Winter 1944/45 emigriert und sich im Hohenzollern-Schloss Sigmaringen im Donautal niederlässt. Man lernt da viel über paradoxe deutsch-französische Beziehungen. Da sind wir wieder bei dem Thema NS-Zeit. Es geht da auch um den französischen Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline, der ein großer Stilist, aber auch Antisemit und Kollaborateur war, vergleichbar mit Ernst Jünger. Aber ich glaube nicht, dass ich dazu Wein getrunken habe – weder einen deutschen noch einen französischen.
Lassen Sie mich überlegen: ich habe letztens John Dos Passos „Orient Express“ gelesen, den faszinierenden Bericht über eine Reise im Jahr 1921 von Venedig aus nach Istanbul, über das Schwarze Meer nach Georgien, durch das damalige Persien bis Teheran, Bagdad und nach Syrien. Und dazu durfte es nichts anderes als einen Rotwein aus Georgien geben. Die sind inzwischen wirklich sehr gut und wenn es Amphorenweine sind, also aus dem Quevri, wie das da heißt in Georgien, auch was ganz Besonderes. Ich mag diese leicht oxidativen Töne, die die Weine dann haben. Und erinnere mich an eine eigene Reise dorthin.
Rudolf Nickenig: Ihrer Begeisterung für das Wein- und Reiseland Georgien schließe ich mich gerne an. Orangeweine brauche ich nicht, aber die Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Für die Empfehlungen und die Rückbesinnungen sage ich herzlichen Dank. Ihnen alles Gute! Nicht nur, dass Sie unbeschadet durch die bevorstehenden Karnevalstage in Düsseldorf kommen, sondern nachhaltig gesund bleiben! Humor und moderater Weinkonsum sollen hierbei nützlich sein!
Rudolf Nickenig, Remagen